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Chronik und Quellen
1938
Juli 1938

Juli 1938

In Komotau in der Tschechoslowakei ging am 4. Juli nach viertägiger Dauer das vom „Bund der Deutschen“ veranstaltete „Fest aller Deutschen“ zu Ende. Konrad Henlein, Führer der NS-orientierten Sudetendeutschen Partei (SdP), erklärte bei diesem Anlass, das Sudetendeutschtum sei zum Brennpunkt der europäischen Politik geworden.

Diese Ansicht teilte – allerdings mit gänzlich anderen Schlüssen – auch der Chef des Generalstabs des Heeres, Generaloberst Ludwig Beck. In einer – natürlich geheimen - Denkschrift für den Oberbefehlshaber des Heeres, General Walter von Brauchitsch, formulierte Beck am 16. Juli seine Bedenken gegen die Gewaltpolitik Adolf Hitlers. Hierbei verurteilte er den geplanten Angriff auf die Tschechoslowakei und rief die führenden Wehrmachtsoffiziere dazu auf, entsprechend mäßigend auf den „Führer“ einzuwirken. Ein solcher Angriff, so warnte Beck, werde „automatisch zu einem europäischen oder zu einem Weltkrieg“ führen, der „nach menschlicher Voraussicht mit einer nicht nur militärischen, sondern allgemeinen Katastrophe für Deutschland“ enden werde.

Man gab man sich im Juli vorwiegend sommerlich-kulturell: In Anwesenheit von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels wurden am 23. Juli die Salzburger Festspiele mit einer Aufführung von Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ unter der Leitung Wilhelm Furtwänglers eröffnet. Einen Tag später fand in München die Uraufführung der Oper in einem Aufzug „Der Friedenstag“ von Richard Strauss statt, während in Bayreuth zugleich die bis zum 19. August dauernden Festspiele mit der Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ begannen. Allerdings wurde auch keinerlei Zweifel daran gelassen, dass man von NS-Seite bestimmte, was Kultur war und was nicht. Als Hitler am 10. Juli in München die „Große Deutsche Kunstausstellung 1938“ eröffnete, umriss er NS-Kunst mit den Begriffen „Kraft und Schönheit“, „Klarheit und Logik“ und erklärte all jenen, die seinen Vorstellungen nicht folgen wollten: „Für kulturelle Neandertaler ist im 20. Jahrhundert kein Platz, jedenfalls kein Platz im nationalsozialistischen Deutschland.“

Als solche stufte man auf NS-Seite offenbar auch widerspenstige Kirchenvertreter ein. So wurde am 23. Juli das Haus des Bischofs von Rottenburg-Stuttgart, Johann Baptist Sproll, von Nationalsozialisten gestürmt. Der Grund lag einige Zeit zurück: Der hohe kirchliche Würdenträger hatte sich geweigert, an der Wahl vom 10. April 1938 teilzunehmen.

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Zu Beginn des Monats wurden am 5. Juli Anordnungen und Erläuterungen des Reichswirtschaftsministers zur Durchführung der Verordnung Hermann Görings über die Anmeldung des Vermögens der Juden vom 26. April 1938 veröffentlicht. Darin wurde festgelegt, dass eine Veräußerung von Grundvermögen und Gewerbebetrieben aus jüdischem Besitz erst nach vorheriger Anhörung des zuständigen Gauleiters der NSDAP erlaubt werden könne. Damit hatten sich Parteivertreter das erste Zugriffsrecht auf das gesichert, was man den Juden abzunehmen gedachte.

Nur einen Tag später wurde am 6. Juli das „Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung“ erlassen. Es verbot Juden künftig nicht nur jeden den Immobilienhandel und die Verwaltung von Grundstücken, sondern schloss sie zugleich auch vom Schausteller- und Hausierer-Gewerbe aus. Gerade in diese Berufszweige hatten sich viele der ehemals Selbstständigen oder entlassenen Arbeiter und Angestellte geflüchtet, was den Unwillen vieler nichtjüdischer Konkurrenten erregt hatte, die nun lauten Beifall klatschten.

Per Bekanntmachung informierte das Reichsinnenministerium am 23. Juli über die Einführung des Kennkartenzwangs. Damit waren Juden deutscher Staatsangehörigkeit ab dem 15. Lebensjahr verpflichtet, sich bis zum 31. Dezember 1938 bei den zuständigen Polizeibehörden eine Kennkarte ausstellen lassen, um sich mit ihnen auf amtliche Aufforderung jederzeit ausweisen zu können. Außerdem war diesen Personalausweis, der mit Lichtbild, Fingerabdruck und Unterschrift des Inhabers versehen war, künftig bei Antragstellungen an amtliche oder parteiamtliche Dienststellen unaufgefordert vorzulegen.

Die „4. Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25. Juli bewirkte die Streichung der Approbationen für jüdische Ärzte, die am dem 30. September 1938 erlosch. Danach konnte nur noch ein Teil von ihnen – und auch das nur mit widerruflicher Genehmigung des Reichsinnenministers - als „Krankenbehandler“ ausschließlich für Juden tätig sein. Dienstverträge mit jüdischen Ärzten waren zum 31. Dezember 1938 zu kündigen, Mietverhältnisse mit ihnen vorzeitig zum 30. September.

Auch die Tilgung jüdischer Geschichte aus dem öffentlichen Gedächtnis wurde weiter vorangetrieben, als der Reichsinnenminister am 27. Juli anordnete, dass – sofern noch nicht geschehen – sämtliche „nach Juden und jüdischen Mischlingen ersten Grades benannten Straßen unverzüglich umzubenennen“ seien.

Am gleichen Tag wurde ein für die Gestaltung des jüdischen Lebens im Reichsgebiet und der Selbstverwaltung der einzelnen Gemeinden wohl weitaus bedeutender, weil unmittelbar spürbar werdender Schritt vollzogen. Nachdem die Synagogengemeinden im April 1938 bereits ihren Status als Körperschaft öffentlichen Rechts verloren hatten, wurde die sie repräsentierende „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ in „Reichsverband“ umbenannt und zu einer Zwangsorganisation, in der jeder in Deutschland lebende Jude automatisch Mitglied war. Einige Monate später wurde die Organisation dann zur „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ umgebildet.

Eine im Vergleich dazu politisch zwar eher unbedeutende, in ihrer verletzenden Wirkung auf die jüdische Bevölkerung jedoch sehr wirkungsvollen Maßnahme stellte die Ende des Monats angeordnete Beschildern von Parkbänken mit dem Schriftzug „Nur für Arier“ dar. Nun wurde ihnen bei jedem Sparziergang ihre massive Ausgrenzung vor Augen geführt und auch noch der letzte verbliebene Ruheraum in Grünanlagen und Parks genommen.

Der Juli des Jahres 1938 brachte auch auf ganz anderem Gebiet einen schweren Dämpfer, die eine Auswanderung in Erwägung zogen. Als Reaktion auf die steigenden Flüchtlingszahlen von Juden aus Deutschland und seit März vor allem auch aus Österreich hatte US-Präsident Franklin D. Roosevelt schon knapp zwei Wochen nach dessen „Anschluss“ zu einer internationalen Konferenz eingeladen, die dann zwischen dem 6. und 15. Juli im französischen Kurort Evian am Genfer See tagte. Hier trafen sich die Vertreter von 32 Staaten und diskutierten über Aufnahmemöglichkeiten für die jüdischen Flüchtlinge. Das Ergebnis war desillusionierend. Zwar brachten zwar alle Delegierten ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, hielten aber dennoch daran fest, dass es die wirtschaftliche Situation ihres Landes nicht erlaube, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Joseph Goebbels’ Propagandaministerium und das Auswärtige Amt verwiesen mit Häme auf das Scheitern der Konferenz und konnten angesichts der völligen Ergebnislosigkeit der Konferenz unwidersprochen behaupteten, dass die Sorge um das Schicksal der deutschen Juden in den demokratischen Staaten nur geheuchelt sei. Der „Völkische Beobachter“ titelte am 13. Juli auf Seite eins voller Hohn: „Keiner will sie haben!“

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