November 1935
Nach der Stabilisierung der Machtbasis, konnte sich das NS-Regime nun auch von alten Weggefährten trennen. Am 7. November wurde der 1918 gegründete Soldatenbund „Stahlhelm“ wegen seiner Konkurrenz zur SA von Reichsinnenminister Wilhelm Frick endgültig aufgelöst. Die Organisation sei, so hieß es, ein Sammelbecken staatsfeindlicher oder die Partei ablehnender Elemente. Damit verloren die konservativen-nationalistischen Kreise eine weitere Stütze.
Gefahr drohte hingegen durch die erhebliche Unzufriedenheit hervorrufenden Versorgungsengpässe. In einer Rede zum Abschluss des Reichsbauerntages in Goslar bezeichnete Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß am 17. November die „Erzeugungsschlacht“ der deutschen Bauern daher kurzerhand als „eine Abwehrschlacht gegen den Bolschewismus“ und Reichsbauernführer Darré schob beim gleichen Anlass die Schuld für die Butterverknappung im Deutschen Reich kurzerhand den Regierungen der Weimarer Republik zu.
Ansonsten war im Anschluss an die im September verkündeten „Nürnberger Gesetze“ der Antisemitismus ein zentrales Thema. Am 11. November ordnete das Propagandaministerium die Beschlagnahmung einer Ausgabe der britischen „Times“ an, weil sich die Zeitung kritisch mit der Judenverfolgung im Deutschen Reich befasst hatte. Und am 25. November wurde der Berliner Oberbürgermeister Heinrich Sahm aus der NSDAP ausgeschlossen, weil er nicht nur zu geringe Spenden ans Winterhilfswerk abgeführt habe, sondern insbesondere wegen dem Vorwurf, dass seine Familie mehrfach in jüdischen Geschäften eingekauft haben sollte. Der eigentliche Hintergrund war jedoch die beabsichtigte Neuorganisation der Berliner Verwaltung. Tatsächlich trat Sahm am 9. Dezember von seinem Bürgermeisteramt zurück. Das Beispiel zeigte zugleich aber jedem, welch weitreichende Folgen ein Abweichen von offiziell vorgegebenen Richtlinien nach sich ziehen konnte. Um einem Boykott der Olympischen Spiele 1936 in Berlin entgegenzuwirken versprach Adolf Hitler am 6. November vor der ausländischen Presse allerdings , alle antijüdischen Zeichen während deren Austragung beseitigen zu lassen.
Zugleich wurden erste Prozesse geführt, die aus der neuen Gesetzeslage resultierten. So fanden in Altona und Köln ab dem 7. November „Rassenschandeprozesse“ statt. In Altona verurteilte das dortige Landgericht einen Juden auf Grundlage der „Nürnberger Gesetze“ zu neun Monaten Gefängnis und betonte, dass schon die Absicht zu sexuellem Verkehr mit einer „Arierin“ als versuchte Rassenschande anzusehen sei. Damit war der Willkür künftig Tür und Tor geöffnet. In Köln wurde in einem vergleichbaren Fall ein Jahr Haft verhängt. Es handelte sich um den Beginn einer ganzen Reihe derartiger Prozesse, die oft mit noch weitaus drastischeren Urteilen – nicht selten mit Einweisung in eines der Konzentrationslager - enden sollten. Am 14. November traten zudem mehrere Durchführungsverordnungen zu den neuen Gesetzen in Kraft, wodurch die Rechte der jüdischen Bevölkerung noch weiter drastisch eingeschränkt wurden. So wurden nun alle Juden ohne Ausnahme aus dem Staatsdienst entlassen.
Eine zu strikte Anwendung der NS-Ideologie rief andernorts Besorgnis hervor. Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht warnte am 30. November in Berlin vor deren zu exzessiven Anwendung in der Wirtschaft. Formen von Agrarromantik, wie sie für die NS-Ideologie typisch waren, so warnte er in einer Rede, könne gerade im Rahmen der planwirtschaftlichen „Erzeugungsschlacht“ keinesfalls moderne Industrietechniken ersetzen.
Zum Buß- und Bettag verlasen Pfarrer der Bekennenden Kirche am 20. November in Preußen eine regimekritische Kanzelbotschaft, in der unter anderem der Ausschluss qualifizierter - zugleich aber NS-kritischer - Theologen von den deutschen Universitäten beklagt. Am 30. November ordnet Reichskirchenminister Hanns Kerrl daraufhin eine Vorabzensur für alle Schriftstücke an, die von der regimekritischen Bekennenden Kirche veröffentlicht wurden oder zwischen deren Pfarreien zirkulierten.
Nach Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht rückte am 1. November im Übrigen der erste Rekrutenjahrgang der 1914 Geborenen zur Ableistung seiner einjährigen Dienstpflicht bei der Wehrmacht ein. Die deutsche Presse feierte das Ereignis überschwänglich als „lebendiges Erlebnis des Umschwungs, der für Deutschlands Stellung in der Welt begonnen hat“.