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Chronik und Quellen
1941
September 1941

September 1941

Mit der Eroberung von Schlüsselburg (Petrokrepost) am Ladogasee durch deutsche Truppen war Leningrad seit dem 8. September von allen Landverbindungen abgeschnitten. Damit begann die bis zum 20. Januar 1944 dauernde brutale Blockade der Stadt durch die Wehrmacht.

Weiter im Süden meldete die 6. deutsche Armee am 19. September die Eroberung der ukrainischen Stadt Kiew. Auch die östlich der Stadt tobende große Kesselschlacht endete am 26. September mit einem Sieg der deutschen Einheiten, die während der Kämpfe 665.000 sowjetische Soldaten gefangen nahm. Die deutsche Presse berichtete begeistert über diese Erfolge, allerdings nicht darüber, dass es unmittelbar nach der Einnahme Kiews zu Massenerschießungen von Juden durch deutsche Wehrmachtsverbände gekommen war, bei denen bis zum 29. des Monats 33.771 Menschen ermordet wurden.

Der September brachte aber auch erste Erfahrungen mit neuen und sehr wirkungsvollen Waffen der Gegenseite: Der stark gepanzerte und den deutschen Systemen weit überlegene sowjetische Panzer T-34 kam ebenso erstmals zum Einsatz wie die bald als „Stalinorgeln“ bezeichneten Raketenwerfer „Katjuscha“.

Bei einem Luftangriff britischer Bomberstaffeln auf das Zentrum Berlins starben am 7. September mehr als 100 Menschen. Fünf Tage später folgte ein schwerer Angriff auf Frankfurt am Main, am 15. September solche auf Hamburg, Bremen, Cuxhaven und Wilhelmshaven. Am 30. September wurde Hamburg erneut zum Ziel der Royal Air Force.

Aber nicht nur aufgrund immer neuer Luftangriffe stand an der „Heimatfront“ nicht alles zum Besten. Mitte September beklagten mehrere Zechen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet einen auf Arbeitsunlust der Beschäftigten zurückzuführenden deutlichen Rückgang der Steinkohlenförderung. Insbesondere die angeworbenen ausländischen Arbeitskräfte, so wurde berichtet, würden sich weigern, Über- und Sonntagsschichten zu leisten. Diese Unzufriedenheit über die stetig zunehmende Belastung, die auch aus anderen Branchen und Gegenden gemeldet wurde, würde sich zunehmend auch auf die deutschen Beschäftigten übertragen. Sie würden sich, zumal aufgrund der zusätzlichen Belastung durch ständige nächtliche Alarme und Luftangriffe immer häufiger krank melden. Allein die deutschen Werften meldeten am Monatsende einen Mehrbedarf an Arbeitskräften von insgesamt 57.500 Mann, ohne den sie die Aufträge der deutschen Marine nicht ausführen konnten. Rückgänge in der Rüstungsindustrie konnte sich das NS-Regime jedoch keinesfalls leisten.

Alle verfügbaren Kräfte sollten, so die immer wiederholte Forderung, in größtmöglichem Maße aktiviert werden. Am 1. September forderte Adolf Hitler die Bevölkerung zum Beginn des Kriegswinterhilfswerks 1941/42 in Presse und Rundfunk zu großer Spendenfreudigkeit auf: „In einem gigantischen Ringen kämpft in diesen geschichtlichen Tagen unsere Wehrmacht um das Sein oder Nichtsein der deutschen Nation. Möge sich die deutsche Heimat durch ihren eigenen Opfersinn den Heldentaten ihrer Söhne würdig erweisen.“ Der erste „Opfersonntag“ des WHW sollte dann am 14. September – nach offiziellen Angaben – mehr als 28 Millionen Reichsmark einbringen.

Ansonsten blieben immer neue Einschränkungen an der Tagesordnung. In einem Bericht zur Kartoffelversorgung im Deutschen Reich im bevorstehenden Winter etwa wurde die Bevölkerung am 17. September aufgefordert, Kartoffeln nur noch als Pellkartoffeln zuzubereiten, weil beim Schälen Gewichtsverluste von 15 bis 30 Prozent auftreten würden.

Und das Regime kontrollierte, überwachte und bestrafte weiterhin scharf und unnachsichtig. Ebenfalls am 17. September wurden im Reichsgebiet erstmals Todesurteile wegen des Abhörens von ausländischen Rundfunksendern ausgesprochen. So wurde in Nürnberg ein Mann zum Tode verurteilt, der illegal abgehörte Nachrichten an seine Frau weitergegeben hatte. Auf diese Art hofft das Regime, der hohen Zahl der „Rundfunkverbrechen“ entgegenwirken zu können, nachdem diese trotz harter Strafen zuvor nicht spürbar zurückgegangen waren. Außerdem traten im deutschen Strafrecht am 13. September generell schärfere Bestimmungen in Kraft, die eine schnellere Anwendung der Todesstrafe ermöglichten, mit der nunmehr auch „Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrecher“ belegt werden konnten.

Die jüdische Bevölkerung wurde immer rigoroser und seit dem 1. September auch für jeden sichtbar ausgegrenzt und diskriminiert, als per Polizeiverordnung über die „Kennzeichen der Juden im Reichsgebiet“ der „Judenstern“ eingeführt. Vom 19. September an mussten alle Jüdinnen und Juden ab dem 6. Lebensjahr auf der linken Brust einen sechszackigen gelben Stern mit der Inschrift „Jude“ tragen. Außerdem durften sie ohne polizeiliche Genehmigung ihren Wohnsitz nicht mehr verlassen und ab dem 18. September außerdem keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen. In der Presse hieß es hierzu verleumdend: „Der deutsche Soldat hat im Ostfeldzug den Juden in seiner ganzen Widerwärtigkeit und Grausamkeit kennengelernt.“ Daher müsse dem jüdischen Bevölkerungsteil jede Möglichkeit genommen werden, „sich zu tarnen“. Der Sicherheitsdienst der SS berichtete, die neue Verordnung sei „vom überwiegenden Teil der Bevölkerung begrüßt und mit Genugtuung aufgenommen“ worden, während Mitleidsbekundungen nur vereinzelt beobachtet worden seien.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Im September 1941 war die auf rund 164.000 Menschen zusammengeschrumpfte bestehende jüdische Bevölkerung im „Altreich“ stark überaltert. Der Großteil war verarmt, weitgehend isoliert, wohnte meist in „Judenhäusern“ und Barackensiedlungen oder war in notdürftig hergerichteten Unterkünften untergebracht. Ihnen allen wurde mit der am 1. September 1941 verfügten Einführung der „Kennzeichnungspflicht“ („Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“) auch der letzte Spielraum zur Bewegung in der Öffentlichkeit genommen, den die eine oder der andere trotz aller Gefahren sich bis dahin noch für sich in Anspruch genommen haben mochte. Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet hatten, war es künftig verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne den amtlich verordneten „Judenstern“ - einem handtellergroßen gelben Stoffstern mit der Aufschrift „Jude“ - zu zeigen. Er war deutlich sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks zu tragen und musste fest aufgenäht sein, was in einer Richtlinie des Reichsinnenministers für die Durchführung der Polizeiverordnung am 15. September detailliert festgelegt wurde. Zugleich wurde ihnen das Tragen von Orden, Ehrenzeichen oder sonstigen Abzeichen untersagt. Erster Tag der Gültigkeit der Verordnung war der 19. September 1941.

Viele Deutsche, die die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung zuvor weitgehend ignoriert hatten, mussten sie nunmehr zur Kenntnis nehmen. Es gab durchaus Menschen, die auf die neue Verordnung schockiert oder mit Mitleid reagierten. Viele andere schauten weg, wenn ihnen ein „Sternträger“ entgegenkam, wieder andere zeigten hämische oder gar hasserfüllte Reaktionen. Für die jüdische Bevölkerung war die neue Kennzeichnungspflicht als weiteres Merkmal völliger Ausgrenzung nicht nur unter psychischen Gesichtspunkten ein weiterer schwerer Schlag. Diejenigen, die zuvor noch den Mut aufgebracht hatten, entgegen bestehender Verbote einzukaufen oder ein Theater oder Kino zu besuchen, waren nunmehr leicht zu identifizieren und liefen Gefahr, denunziert zu werden, während ein Verzicht auf den „Judenstern“ bei Entdeckung empfindliche Strafen nach sich zog, die zumeist bis ins KZ führen konnten.

Am 18. September 1941 erließ der Reichsverkehrsminister eine Verordnung zur Benutzung der Verkehrsmittel durch Juden, die künftig zum Verlassen ihres Wohnorts und für Fahrten in bestimmten Verkehrsmitteln an ihrem Wohnort einer polizeilichen Erlaubnis bedurften. Das galt auch für Fahrräder. Zugleich wurde ihnen untersagt, Schlafwagen der Reichsbahn zu benutzen und Speisewagen aufzusuchen. Alle übrigen öffentlichen Verkehrsmittel durften nur noch dann benutzt werden, wenn es noch ausreichend Platz gab, keinesfalls aber in Zeiten größeren Verkehrsaufkommens. Außerdem war Jüdinnen und Juden nur noch die Nutzung der niedrigen Klassen gestattet. Sitze durften nur noch eingenommen werden, wenn niemand anderes mehr stand. Auch die Benutzung von Warteräumen und aller übrigen öffentlichen Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs war ihnen nur unter strengen Beschränkungen gestattet.

Am 11. September wurde zudem auf Anordnung der Gestapo der jüdische Kulturbund aufgelöst. Während dessen Verlag und Buchvertrieb durch Angliederung an die Reichsvereinigung der Juden zunächst noch erhalten blieben, wurde der Verein selbst aufgelöst, womit seine Veranstaltungstätigkeit beendet war. Damit verlor die jüdische Bevölkerung eine ihrer letzten Möglichkeit zu etwas Unterhaltung.

Seit Kriegsbeginn hatte das Schicksal der deutschen jüdischen Bevölkerung im Ausland nur wenig Beachtung und eher selten Eingang in die Presse gefunden. So druckte die New York Times zwar einen Artikel über die Einführung der „Kennzeichnungspflicht“, platzierte ihn jedoch erst auf Seite 14 der Ausgabe. Dabei wäre internationaler Beistand nötiger denn je gewesen, denn im September 1941 änderte Adolf Hitler seine Meinung hinsichtlich der Durchführung von Deportation der Juden aus dem Reichsgebiet nachhaltig. Hatte er im Vormonat noch betont, eine derartige Verlagerung komme erst nach Kriegsende in Frage, ordnete er nun - um den 17. September 1941 - plötzlich deren zügige Durchführung an. Diese Transporte waren zwar noch nicht gleichbedeutend mit Hitlers Zustimmung zu deren Ermordung, dürften entsprechende Phantasien aber bestimmt beflügelt haben.

Dabei waren es insbesondere einige der NSDAP-Gauleiter, die schon seit langem darauf gedrängt hatten, ihre Machtbereiche „judenfrei“ zu machen. Hierzu zählten etwa Josef Goebbels in Berlin, Baldur von Schirach in Wien, Karl Hanke in Breslau und Karl Kaufmann in Hamburg, der später gegenüber Göring behauptete, er sei im September 1941 nach einem schweren Luftangriff auf die Stadt an Hitler mit der Bitte herangetreten, „die Juden evakuieren zu lassen, um zu ermöglichen, dass wenigstens zu einem gewissen Teil den Bombengeschädigten wieder eine Wohnung zugewiesen werden könnte“. Der habe seiner Anregung „unverzüglich entsprochen und die entsprechenden Befehle zum Abtransport der Juden erteilt“. Auch der Kölner Gauleiter Josef Grohé hielt am 28. September 1941 im Rahmen einer Großkundgebung der NSDAP in der Messehalle eine Rede, in der er die jüdische Bevölkerung mit „Ungeziefer“ gleichsetzte und den „Untergang des Judentums“ forderte. Der wichtigste Grund für Hitlers Meinungsumschwung war aber wohl eine sich für sein Regime immer bedrohlicher gestaltende internationale Lage, da sich die Anzeichen für einen Kriegseintritt der USA verdichteten.

Bereits vier Wochen später rollten die ersten Deportationszüge aus dem Reichsgebiet und dem „Protektorat“ Richtung Litzmannstadt, nachdem Himmler den Gauleiter des Warthegaus, Arthur Greiser, am 18. September 1941 darüber informiert hatte, 60.000 Juden in das dortige, bereits zuvor schon überfüllte Getto abzuschieben. Daher stieß die Absicht auf Widerstand der deutschen Behörden in Litzmannstadt, woraufhin die Zahl der „Einzusiedelnden“ im Laufe des Folgemonats auf etwa 20.000 reduziert wurde, während weitere 25.000 Menschen jeweils in die Gettos Riga und Minsk deportiert werden sollten. Im Rahmen eines im September in Berlin stattfindenden Treffens der „Judenreferenten“ der Gestapostellen im „Altreich“ wurden die praktischen Probleme hinsichtlich der geplanten Transporte erörtert, wobei es das Reichssicherheitshauptamt den jeweiligen Gestapostellen überließ, sich für Zuarbeiten hierbei der Bezirksstellen der Reichsvereinigung zu bedienen.

Ende des Monats wurde auch die jüdische Bevölkerung über die erschreckenden neuen Pläne in Kenntnis gesetzt. Im Jahr 1941 fiel der höchste jüdische Feiertag - Jom Kippur - auf den 30. September. Am Vormittag dieses Tages teilte SS-Hauptsturmführer Alois Brunner, der Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien, Josef Löwenherz als Direktor der Israelitischen Kultusgemeinde mit, dass ein Teil der jüdischen Bevölkerung Wiens, gemeinsam mit Jüdinnen und Juden aus dem „Altreich“ und dem „Protektorat“ nach Litzmannstadt „umgesiedelt“ werden solle. In Berlin war es mit Franz Prüfer der für Judenangelegenheiten zuständige Gestapo-Beamte, der zum genau gleichen Zeitpunkt führende Vertreter der Jüdischen Gemeinde in der Gestapo-Zentrale über die Pläne in Kenntnis setzte und deren Mitarbeit befahl. Dabei beabsichtigten die Verantwortlichen die wahren Absichten offenbar so lange wie möglich geheim zu halten. Den Betroffenen sollte ihre Wohnungskündigung lediglich mit dem Hinweis auf ihren Zwangsumzug in ein „Judenhaus“ innerhalb Berlins überreicht werden. Unter Androhung der Todesstrafe verpflichtete Prüfer die drei jüdischen Gemeindevertreter dazu, kein Wort über die wahre Bedeutung der Kündigungen zu verlieren, womit sie gezwungen wurden, das Täuschungsmanöver der Gestapo mitzutragen.

1. September 1941: Barackenlager Milbertshofen

1. September 1941: Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden

3. September 1941: Reise nach Dachau

3. September 1941: Erste Mordaktion mit Zyklon B

4. September 1941: Bericht einer westfälischen NSDAP-Kreisleitung

7. September 1941: Situation in Gettohäusern

10. September 1941: Reiseverbot und Kennzeichhnungspflicht

11. September 1941: Kennzeichnung der Juden

13. September 1941: Zeitungsartikel zum "Judenstern"

13. September 1941: Demütigende Kennzeichnungspflicht

13. September 1941: Die SD-Hauptaußenstelle Bielefeld berichtet:

14. September 1941: „Judenstern“ und Gottvertrauen

14. September 1941: Kritik an Kennzeichnungspflicht

15. September 1941: Sozialausgleichsabgabe für Juden

15. September 1941: Nutzung von Verkehrsmitteln eingeschränkt

Mitte September 1941: Bitte um Hilfe

16. September 1941: Generalkonsul von Weiss berichtet aus Köln

18. September 1941: Benutzung der Verkehrsmittel durch Juden

18. September 1941: Deportation nach Lodz gewünscht

19. September 1941: Bericht aus Urspringen

19. September 1941: „Judenstern“ und Stolz

21. September 1941: Empörung über Kennzeichnung

22. September 1941: Verbot des Zeitschriftenbezugs

22. September 1941: Bericht aus Trier

24. September 1941: Hilfe für Auswanderung nach Kuba

25. September 1941: Beschäftigung von „Mischlingen“

25. September 1941: Die SD-Außenstelle Höxter berichtet

26. September 1941: Die SD-Außenstelle Minden berichtet:

28. September 1941: Rede des Gauleiters Josef Grohé

30. September 1941: Die SD-Hauptaußenstelle Bielefeld berichtet:

30. September 1941: Bericht aus Augsburg

30. September 1941: Bericht aus Ansbach

30. September 1941: Bericht aus Augsburg

30. September 1941: Die Reichsfrauenführung berichtet

30. September 1941: Bericht aus Forchheim

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