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Chronik und Quellen
1941
Juli 1941

Juli 1941

Nach Abschluss einer Doppelschlacht bei Bialystok und Minsk, die einen großen Teil der sowjetischen Westfront zerschlug, gerieten am 9. Juli 328.000 sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Während das Ereignis in der deutschen Presse als Rettung Europas „vor der Invasion des Bolschewismus“ gefeiert wurde, war der Preis für solche Kesselschlachten auch für die Wehrmacht sehr hoch. Außerdem verzögerte der zähe Widerstand – trotz aller noch folgenden Erfolge - den geplanten schnellen Vormarsch erheblich. Erschwerend kamen weiterhin unterschiedliche taktische Auffassungen in der Wehrmachtsspitze, Befehlsänderungen durch Hitler und vor Ort starke Regenfälle hinzu.

Britische Bomber griffen am 24. Juli beim bisher größten Tagesangriff die deutschen Schlachtschiffe „Gneisenau“ und „Scharnhorst“ im französischen La Rochelle an, wobei die „Scharnhorst“ fünf Bombentreffer erhielt. Das stellte eine weitere Schwächung der Kampfkraft der deutschen Marine dar, die durch die Versenkung der „Bismarck“ im Mai des Jahres bereits erheblich nachgelassen hatte.

Solchen militärischen Misserfolgen versuchte das NS-Regime durch Propagandaaktionen entgegenzuwirken, die eine ungebrochene und nach wie vor überlegene Kampfkraft der Wehrmacht suggerieren sollten, die gern in personifizierter Form präsentiert wurden. So wurde Oberstleutnant Werner Mölders am 15. Juli anlässlich seines 101. Luftsieges als erster Wehrmachtsoffizier mit dem neu gestifteten Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet und als Inbegriff soldatischer Tugenden präsentiert. Am 20. Juli berichteten deutsche Zeitungen über eine neue Propaganda-Aktion des NS-Regimes, in deren Zentrum der Buchstabe „V“ als Zeichen für „Viktoria“, also „Sieg“ stand. Damit sollte zum wiederholten Male, nunmehr aber in konzentrierter Form, auf die tatsächlichen und vorgeblichen deutschen Erfolge „an allen Fronten“ hingewiesen werden. Da es sich hierbei um eine Umdeutung des englischen „victory“ handelte, stieß die Initiative in der Bevölkerung jedoch nur auf wenig Verständnis, die laut Aussage des SS-Sicherheitsdienstes mit der Aktion wenig anfangen konnte. Zugleich wurde versucht, eine weitgehende Rezeption der NS-Propaganda sicherzustellen – beispielsweise durch eine Verfügung vom 17. Juli, wonach in Wirtschaften und Restaurants keine Gäste mehr bedient werden durften, während im Rundfunk Wehrmachtsberichte ausgestrahlt wurden.

Auch sonst dominierten an der „Heimatfront“ naturgemäß weiterhin die kriegsbedingten Erscheinungen und Einschränkungen. Am 28. Juli wurde die bis zum 23. August dauernde „Reichsspinnstoffsammlung“ eröffnet, um nicht mehr genutzte Textilien als Reißwolle oder Reißbaumwolle wiederzuverwenden zu können. Obwohl in Zeitungen, Rundfunk und Kinos für die Abgabe solcher Alttextilien geworben wurde, fand die Aktion in der Bevölkerung allerdings nur geringen Anklang. Stattdessen befeuerten die Sammlungen die Befürchtung, dass es zu weiteren Engpässen in der Versorgung mit Textilien kommen würde. Das galt nicht zuletzt für zahlreiche Fremdenverkehrsregionen des Deutschen Reiches, aus denen zum Monatsende Meldungen über erhebliche Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs laut wurden. Es war vor allem die hohe Zahl der dort untergebrachten Evakuierten und Kinderlandverschickten aus luftgefährdeten Gebieten, die die Engpässe verursachten oder zumindest verschärften.

Die deutsche Justiz reagierte zugleich immer drastischer auf sogenannte „Verdunklungsverbrechen“. So verurteilte das Münchener Sondergericht am 2. Juli einen Mann zum Tode, der unter Ausnutzung der abendlichen Verdunklung am Bahnhof einen Koffer gestohlen hatte.

Das NS-Regime versuchte weiterhin, die Spielräume der Kirchen einzuschränken. Am 8. Juli erließ der Innenminister eine Anordnung, nach der Geistliche in Krankenhäusern und Heil- und Pflegeanstalten nur noch auf ausdrücklichen Wunsch der Kranken tätig werden durften. Die Kirchenbehörden wehrten sich gegen diese Bestimmung, die ihren Einfluss stark beschnitt, und forderten die Gläubigen auf, in solchen Fällen regelmäßige Besuche von Geistlichen zu fordern. Das NS-Regime sah sich angesichts der weitgehend ungebrochenen Anziehungskraft der Kirchen zu solchem Handel veranlasst. So hatte der Sicherheitsdienst darüber berichtet, dass eine „Sammlung zur Erneuerung der Kirche“ in einer süddeutschen Gemeinde innerhalb einer Woche 2.000 RM erbracht hätten, während dort für das Kriegswinterhilfswerk lediglich 18 RM gespendet worden seien.

Auf anderem Gebiet standen – zunächst noch weitgehend vor der breiten Öffentlichkeit verborgen – gravierende Entwicklungen an. Am 31. Juli beauftragte Hermann Göring den SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, „alle erforderlichen Vorbereitungen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet“ zu treffen. Damit wurde die Vernichtung der Juden in West- und Mitteleuropa eingeleitet.

Parallel hierzu hatte an der Ostfront das große Morden längst begonnen. Die insgesamt 3.000 Mann zählenden vier Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes der SS führten auf Befehl Hitlers und mit Wissen, teilweise auch aktiver Unterstützung der Wehrmacht hinter der Front ihre als „Sonderausgabe“ getarnten Massenerschießungen an den ortsansässigen Juden durch. So wurden bei einem Massaker in Lemberg (Lwow) am 2. Juli rund 7.000, zwischen dem 17. und 31. Juli allein in der Stadt Kischinjow mehr als 12.000 Menschen ermordet.

In diesem Zusammenhang war auch die Ernennung Alfred Rosenbergs zum Reichsminister für die besetzten sowjetischen Gebiete am 17. Juli zu sehen. Er sollte dort nach Durchzug der militärischen Verbände eine Zivilverwaltung g einrichten. Auf diese Weise wurde das Gebiet der Wehrmachtskontrolle entzogen und der NSDAP die uneingeschränkte Möglichkeit zur Ermordung der jüdischen Bevölkerung, aber auch der kommunistischen Funktionäre sowie der Sinti und Roma eröffnet. Außerdem konnten die eroberten Gebiete so völlig ausgebeutet werden. Unter Rosenbergs Leitung wurden die Reichskommissariate „Ostland“ und „Ukraine“ eingerichtet, die mit Hinrich Lohse und Erich Koch zwei äußerst brutale Leiter bekamen, die massiv gegen die einheimische Bevölkerung vorgingen und zehntausende Menschen ermorden ließen.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Am 8. Juli schuf das Reichsfinanzministerium Fakten hinsichtlich der „Versteigerung von Umzugsgut jüdischer Auswanderer“. Per Rundanweisung wurde auf Anweisung Himmlers mitgeteilt, dass die örtlichen Gestapostellen befugt seien, in Speditionen unter Zollverschluss lagernde „Gegenstände von Juden, gegen die ein Ausbürgerungsverfahren schwebt“, sicherzustellen, um diese anschließend - auch bereits vor der Ausbürgerung der Besitzer - zu versteigern. Das bedeutete für viele bereits Ausgewanderte, dass sie ihren in sicheren Händen gewähnten, für den Neustart in der neuen Heimat zumeist unverzichtbaren Besitz ersatzlos verloren.

Das Ende Monats brachte eine zentrale Entscheidung hinsichtlich der Ermordung der europäischen Juden. Am 31. Juli beauftragt Hermann Göring Reinhard Heydrich damit, die „Gesamtlösung der Judenfrage“ vorzubereiten und die entsprechenden Schritte zu koordinieren. Der Auftrag umfasste „alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa“. „Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“

Das der geografische Schwerpunkt der von NS-Seite angestrebten „Endlösung“ im Osten Europas liegen würde, galt als sicher. Von dort drangen in dieser Hinsicht immer beunruhigendere Nachrichten nach Westen. So wurde etwa Ende Juli 1941 in Breslau bekannt, dass in Lemberg seitens der SS 12.000 Juden erschossen worden seien. Bereits am 16. Juli 1941 Hatte der Chef der SD-Leitstelle Posen Rolf-Heinz Höppner Adolf Eichmann in schier unvorstellbarem Duktus wissen lassen, wie in seinen Augen mit den überfüllten Gettos und Zehntausenden von hungernden und kranken Juden im Reichsgau „Wartheland“ verfahren werden sollte: „Es besteht in diesem Winter die Gefahr, daß die Juden nicht mehr sämtlich ernährt werden können. Es ist ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen. Auf jeden Fall wäre dies angenehmer, als sie verhungern zu lassen.“

Aber die NS-Führungselite hatte ohnehin nicht vor, in dieser Frage irgendwelche Verzögerungen eintreten zu lassen. Nachdem Heinrich Himmler am 17. Juli 1941 von Hitler mit der polizeilichen Sicherung der neu besetzten Ostgebiete beauftragt worden war, erweiterte der wiederum umgehend die Befugnisse des SS- und Polizeiführers Odilo Globocnik, der im Distrikt Lublin ein System von Zwangsarbeitslagern aufgebaut hatte. Nun wurden ihm anlässlich eines Besuches in Lublin am 20. Juli außerdem Planung und Durchführung umfangreicher Bauarbeiten für „Siedlungsprojekte“ sowie die Errichtung eines Konzentrationslagers für 20.000 bis 25.000 Häftlinge übertragen, das schließlich mit dem KZ Majdanek realisiert wurde. Kurz darauf übertrug Himmler Globocnik zudem die Zuständigkeit für die Errichtung der Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka und wies ihm so eine zentrale Rolle als Organisator der „Aktion Reinhardt“ zu. Auf diese Weise sollte der Distrikt unter Globocniks Leitung zum Ausgangspunkt für den Aufbau eines regelrechten Ostimperiums der SS werden.

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