Menü
Chronik und Quellen
1938
Oktober 1938

Oktober 1938

Um 14 Uhr begann die deutsche Wehrmacht am 1. Oktober mit dem Einmarsch in die erste Zone der durch das Münchner Abkommen vom 29. September an das Deutsche Reich übertragenen tschechischen Gebiete. Die sudetendeutsche Bevölkerung bereitete den Truppen einen begeisterten Empfang, während sich zugleich Hunderttausende der seit 1919 dorthin eingewanderten Tschechen sowie mehrere Zehntauende Juden, Sozialdemokraten und weitere NS-Gegner das nunmehr zum Reichsgebiet zählende Territorium verließen. Konrad Henlein wurde von Hitler, der das Sudetenland seinerseits zwei Tage später besuchte und auf einer Kundgebung in Eger sprach, als Reichskommissar für die sudetendeutschen Gebiete eingesetzt.

Wie wenig auf Hitlers Friedensbeteuerungen zu geben war, zeigte sich zwar nicht der Bevölkerung, aber den Angehörigen des inneren Kreises von NS-Staat und Wehrmacht, als er am 21. Oktober eine Weisung zur Zerschlagung der Rest-Tschechoslowakei ausgab. Die deutsche Wehrmacht hatte sich danach jederzeit zur Besetzung Memels und des tschechischen Rumpfstaates bereitzuhalten. Aber auch im neu besetzten Gebiet wollte man sich keineswegs Zurückhaltung auferlegen. Vielmehr wurde am 22. Oktober per Erlass von Innenminister Frick Heinrich Himmler als Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei die Befugnis übertragen, in den sudetendeutschen Gebieten Maßnahmen zu ergreifen, die sich ausdrücklich auch außerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen durften.

Ansonsten betonte das NS-Regime immer wieder, dass es ihm vor allem um den Schutz des deutschen Volkes gehe. So erklärte Hitler am 9. Oktober Saarbrücken, die Erfahrungen der vergangenen Monate hätten ihn gelehrt, nichts versäumen zu dürfen, was der Sicherheit des Reiches diene. Daher würden die Befestigungen an der Westgrenze weiter ausgebaut. Am Abend des 25. Oktober strahlte der Deutschlandfunk dann reichsweit eine Sendung aus, in der die Bevölkerung erstmals offiziell über den Stand der im Mai des Jahres begonnenen Arbeiten am Westwall informiert wurde, den Hitler bereits im Rahmen des Reichsparteitages am 12. September als das „gigantischste Befestigungswerk aller Zeiten“ bezeichnet hatte, das dem deutschen Volk angeblich eine sichere Zukunft bescheren sollte. Nicht zuletzt um die für erforderlich gehaltenen Arbeiten durchführen zu können, erließ die Reichsregierung am 15. Oktober mit der „Dritten Verordnung zur Sicherung des Kräftebedarfs“ eine Notdienstverordnung, die es rückwirkend vom 1. September des Jahres an ermöglichte, Arbeitskräfte für begrenzte Zeit zur „Bekämpfung öffentlicher Notstände“ heranzuziehen.

Der Sicherheit sollte angeblich auch die Ausländerpolizeiverordnung vom 22. August 1938 dienen, die zum Monatsbeginn in Kraft trat. Danach war der Aufenthalt im Reichsgebiet künftig nur noch solchen Personen gestattet, die aus Sicht des NS-Regimes Gewähr dafür boten, sich der ihnen zugestandenen Gastfreundschaft würdig zu erweisen. Zurückweisungen unerwünschter Gäste waren künftig bereits direkt an der Grenze zulässig.

Mit einer Großkundgebung im Berliner Sportpalast wurde am 5. Oktober das alljährliche Winterhilfswerk 1938/39 eröffnet, das wie in Jahren zuvor durch Sammlungen, Eintopfsonntage und weitere Aktionen angeblich die Lage „bedürftiger Volksgenossen“ verbessern helfen sollte.

Der Ton im öffentlichen Umgang mit der jüdischen Bevölkerung wurde massiv verschärft. So äußerte sich Walther Buch, immerhin oberster Parteirichter der NSDAP, am 21. Oktober in der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ zu seiner Auffassung von „deutscher Ehre“ und der rechtlichen Stellung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. „Der Jude“, so hieß es in dem offiziellen Organ in erschreckender Offenheit, sei „kein Mensch“. „Er ist eine Fäulniserscheinung.“ Damit ging Buch weit über bisherige Äußerungen von NS-Juristen weit hinaus.

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Das NS-Regime begann nun auch offiziell, das gesprochene Wort im Rahmen von jüdischen Veranstaltungen zu kontrollieren und zu bestimmen. Am 3. Oktober erging eine Anordnung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, mit der alle jüdischen Organisationen und Erziehungsinstitutionen verpflichtet wurden, die Vortragsmanuskripte für geplante Veranstaltungen dem Ministerium zur Genehmigung vorzulegen. Damit übernahm das Propagandaministerium die von der Gestapo bereits einige Jahre zuvor eingeführte Überwachungspraxis, die zugleich aber quasi offiziell und zudem deutlich ausgeweitet wurde.

Am 5. Oktober wurde der Bewegungsspielraum der jüdischen Bevölkerung weiter eingegrenzt. Durch die „Verordnung über Reisepässe von Juden“ wurden sämtliche Reisepässe deutscher Juden für ungültig erklärt und deren Inhaber verpflichtet, die Dokumente binnen zweier Wochen bei der Passbehörde einreichen. Eine Zuwiderhandlung wurde mit Haft- und Geldstrafe bedroht. Jene Pässe, deren Gültigkeit auf das Inland beschränkt war, wurden ersatzlos eingezogen, weil sie als Legitimationspapier von der Ende Juli 1938 für Juden verbindlich eingeführten Kennkarte abgelöst worden waren. Als intendierte Nebenwirkung wurden Juden durch den Verlust des Reisepasses auch Zahlungen ins Ausland unmöglich gemacht, die nur von Passinhabern innerhalb bestimmter Freigrenzen geleistet werden durften. Das musste naturgemäß jedes Auswanderungsvorhaben erheblich erschweren. Gültigkeit erlangten die Pässe von Juden für Auslandsreisen erst dann wieder, wenn sie mit einem 3 cm großen „J“ in roter Farbe, dem sogenannten „Judenstempel“ versehen und die jeweiligen Inhaber stigmatisiert wurden. Mit Hilfe dieser Kennzeichnung konnten jüdische Reisende beim Grenzübertritt schnell identifiziert werden, eine Forderung, die den Interessen der das Deutsche Reich umgebenden Staaten – u.a. der Schweiz - entgegenkam.

Am 6. Oktober wurden mit den Musikern die letzte Gruppe jüdischer Kulturschaffender aus dem nunmehr vollständig „arisierten“ deutschen Kulturbetrieb ausgeschlossen. Sie durften fortan keine Mitglieder mehr in der Reichsmusikkammer sein. Außerdem wurde auch die Erteilung von Musikunterricht an jüdische Schüler untersagt.

Durch einen geheimen Erlass des Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitsversicherung wurde am 19. Oktober der „geschlossene Arbeitseinsatz“ von Juden eingeführt, die – etwa in Form von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld - aus öffentlichen Mitteln unterstützt wurden. Die Arbeitsämter wurden aufgefordert, sich einen Überblick über Zahl und Qualifikation der arbeitslosen Juden zu verschaffen und anschließend deren Arbeitseinsatz in geschlossenen Gruppen in die Wege zu leiten. Bei der Durchführung solcher Arbeiten, das wurde ausdrücklich festgelegt, kamen nur Aufträge in Betracht, bei deren Ausführung Juden nicht „mit anderen Volksgenossen nicht in Berührung“ kamen. Weil sich eine solche Trennung in vielen Betrieben jedoch als Hindernis erwies, wurden jüdische Arbeitskolonnen insbesondere im öffentlichen Sektor, in Parks und Gärten, beim Straßen- und Kanalbau, bei der Reichsbahn oder auf Müllplätzen beschäftigt. Das hatte häufig zur Folge, dass diese jüdischen Zwangsarbeiter in Lagern untergebracht wurden. Schon bald beschränkten sich solche Arbeitseinsätze keineswegs mehr nur auf arbeitslose Juden, sondern betraf mehr und mehr auch – eine allerdings unbekannte Zahl - berufstätiger Juden, die zur diesen Arbeiten gezwungen wurden. - Die allgemeine Zwangsarbeit für alle Juden wurde offiziell aber erst Ende 1940 offiziell eingeführt.

Jene Juden, die auswandern wollten und auch die Möglichkeit dazu hatten, wurden von Regimeseite unter massiven Druck gesetzt. Am 19. Oktober wurde dem Reichskriminalpolizeiamt der Auftrag Himmlers übermittelt, dass jüdischen KZ-Häftlingen, die aufgrund ihrer bevorstehenden Emigration entlassen werden sollten, unmissverständlich – allerdings nur mündlich - mitzuteilen sei, dass, sollten sie versuchen nach Deutschland zurückzukehren, „sie selbst und ihre ganze Familie lebenslänglich in einem Konzentrationslager untergebracht“ würden.

In Deutschland lebten zwischen 50.000 und 72.000 polnisch-stämmige Jüdinnen und Juden. Am 28. Oktober fand im gesamten Reichsgebiet eine spektakuläre Abschiebeaktion statt. In den Nachtstunden begann die Polizei damit, etwa 17.000 Menschen aus ihren Wohnungen zu holen, festzusetzen, zu Sammeltransporten zusammenzustellen und mit der Bahn in Sonderzügen an die deutsch-polnische Grenze abzutransportieren. Für die Betroffenen kam die Aktion, die teils ganze Familien, teils nur die Männer betraf, völlig überraschend.

Da den Ankommenden an der polnischen Grenze die Einreise nach Polen verweigert wurde, mussten sie monatelang unter menschenunwürdigen Bedingungen im deutsch polnischen Grenzgebiet regelrecht „hausen“. In dem kleinen polnisch-deutschen Grenzort Bentschen (Zbqszyn ) lebten 1938 knapp 5.000 Menschen, zu denen binnen weniger Stunden mehr als 8.000 aus Deutschland Vertriebene hinzukamen, die in der Herbstkälte dringend versorgt werden mussten. Die meisten wurden in einer alten Kaserne und in Ställen untergebracht. Einem Teil von ihnen wurde später unter strenger Beobachtung eine vorübergehende kurze Rückkehr nach Deutschland erlaubt, um ihre Besitzverhältnisse zu ordnen. Im Juni 1939 erfolgte jedoch entweder die endgültige Ausweisung.

Die Vertreibung der polnischen Juden aus Nazi-Deutschland im Oktober 1938 wird gemeinhin als eine Art „Generalprobe“ für den während des Krieges verübten organisierten Mord an den europäischen Juden betrachtet. Dieses Urteil bezieht sich insbesondere auf deren brutale Durchführung vor den Augen der Öffentlichkeit. Wie viel Brutalität von Polizei, Gestapo und SS konnte man Mitbürgern zumuten, ehe sich Widerspruch regte?

1. Oktober 1938: Räumung der „Judenschule“

5. Oktober 1938: Verordnung über die Reisepässe von Juden

6. Oktober 1938: Generalbauinspektor fordert Massenkndigungen

7. Oktober 1938: Artikel im „Jewish Chronicle“

8. Oktober 1938: Artikel im „Jüdischen Volksblatt“

14. Oktober 1938: Bericht des Jüdischen Weltkongresses

14. Oktober 1938: Sitzung im Reichsluftfahrtministerium

17. Oktober 1938: Berücksichtigung der Grundsätze der Rassengesetzgebung

23. Oktober 1938: Übergriffe auf jüdische Häuser

Herbst 1938: Leipzig im Herbst 1938

26. Oktober 1938: Schnellbrief des Reichsführers-SS zur "Polenaktion"

27. Oktober 1938: Erlass zur Devisenausfuhr

28. Oktober 1938: Ausweisung aus Nürnberg

28. Oktober 1938: „Polenaktion“ in Bochum

28. Oktober 1938: Grenzübertritt bei Neu Bentschen

28. Oktober 1938: Bericht über die „Vertreibung“ aus Berlin

28. Oktober 1938: „Polen-Aktion“ in München

28. Oktober 1938: „Polen-Aktion“ in Krefeld

28. Oktober 1938: Warnung des Hilfsvereins

28. Oktober 1938: Tagebucheintrag des Freiherrn von Berenberg-Gossler

28. Oktober 1938: Abschiebung von Juden aus Chemnitz

28. Oktober 1938: Erinnerungen an die "Polen-Aktion"

28. Oktober 1938: Erinnerungen an die "Polen-Aktion"

28. Oktober 1938: Ausweisung aus Berlin

28. Oktober 1938: Ausweisung aus Berlin

28. Oktober 1938: Ankunft in Neubentschen

28. Oktober 1938: Ausweisung aus Wuppertal

28. Oktober 1938: Von Köln nach Neu-Bentschen

29. Oktober 1938: Aufenthaltsverbot für polnische Juden

31. Oktober 1938: Das SD-Hauptamt berichtet

31. Oktober 1938: Bericht aus Koblenz

31. Oktober 1938: Bericht aus Würzburg

31. Oktober 1938: Bericht aus Regensburg

31. Oktober 1938: Bericht aus Ansbach

31. Oktober 1938: Bericht aus Speyer

31. Oktober 1938: Bericht der NSDAP-Reichsleitung

31. Oktober 1938: Bericht aus Alzenau

31. Oktober 1938: Bericht aus Neustadt

31. Oktober 1938: Bericht aus Hofheim

Baum wird geladen...