Menü
Chronik und Quellen
1942
Januar 1942

Januar 1942

Auf den Kriegsschauplätzen begann das Jahr aus deutscher Sicht wenig verheißungsvoll. Im Mittelabschnitt der Ostfront durchbrach die Rote Armee am 2. Januar die Stellungen der deutschen Wehrmacht nordwestlich von Rschew und stieß nach Westen vor. Am gleichen Tag kapitulierten die seit mehreren Wochen in der libyschen Stadt Bardijja eingeschlossenen deutschen und italienischen Truppen vor den Briten. Und auf der militärischen Führungsebene kam es weiterhin zu Konflikten. So wurde Generaloberst Erich Hoepner, Oberbefehlshaber der 4. Panzerarmee, am 8. Januar von Hitler wegen eigenmächtiger Zurücknahme seiner Verbände in Mittel-Russland aus der Wehrmacht ausgestoßen. Vor diesem Hintergrund dürfte die Bevölkerung dankbar zur Kenntnis genommen haben, dass die Panzergruppe Afrika unter Generalleutnant Erwin Rommel am 21. Januar in Nordafrika eine Gegenoffensive startete.

Unbemerkt dürfte hingegen zunächst das geblieben sein, was am 20. Januar im Rahmen der sogenannten „Wannsee-Konferenz“ in Berlin von hohen Regierungsvertreter und SS-Funktionären unter Vorsitz des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, beraten worden war. Dort hatte man die planmäßige Deportation der jüdischen Bevölkerung – im NS-Jargon als „Endlösung der Judenfrage“ bezeichnet – beschlossen, wobei das Abschlussprotokoll in erschreckender bürokratischer Akribie die hiervon betroffenen Juden in den verschiedenen von Deutschland beherrschten europäischen Staaten auflistete. Mit diesem Papier wurde kurzerhand elf Millionen Menschen nichts weniger als ihre Existenzberechtigung abgesprochen.

Die Juden waren der deutschen Bevölkerung bereits am 1. Januar zum wiederholten Male als die Verursacher des Krieges präsentiert worden. In einem Aufruf an die deutsche Bevölkerung zum Jahreswechsel betonte Adolf Hitler seine Bereitschaft zum Frieden und bezeichnete den amerikanischen Präsidenten Roosevelt als „Kriegshetzer“, der gemeinsam mit „jüdisch-angelsächsischen Finanzverschwörern“ den Krieg zu verantworten habe. Abschließend hatte er ausgerechnet Gott um Hilfe angerufen: „Wir können an der Wende dieses Jahres nur den Allmächtigen bitten, dass er dem deutschen Volk, seinen Soldaten die Kraft geben möge, das mit Fleiß und tapferem Herzen zu bestehen, was erforderlich ist, um uns Freiheit und Zukunft zu erhalten. (…) Wer für das Leben seines Volkes, für dessen tägliches Brot und für seine Zukunft kämpft, wird siegen. Das Jahr 1942 soll – darum wollen wir alle den Herrgott bitten – die Entscheidung bringen zur Rettung unseres Volkes.“ Wie der Monat begann, so endete er. Am 30. Januar hielt Hitler anlässlich des 9. Jahrestags der NS-Machtübernahme eine weitere Rede, in der er die USA und Großbritannien mit Hasstiraden überschüttete, um dann – wie bereits am 1. September 1939 – nochmals die Vernichtung des jüdischen Volkes anzukündigen, die ja zehn Tage zuvor beschlossen und organisiert worden war.

In Deutschland dominierten auch zum Jahresbeginn Mangel und Einschränkungen. So musste nun auch der in den Vorkriegsjahren propagandistisch so gefeierte Bau der deutschen Reichsautobahn eingestellt werden. Seit 1933 waren 3.860 km fertiggestellt worden – und damit bei weitem nicht so viele, wie Hitler im September 1936 angekündigt hatte, als von 7.000 km innerhalb der kommenden fünf Jahre die Rede gewesen war. Seit dem 12. Januar mussten deutsche Restaurants montags und donnerstags ein sogenanntes „Feldküchenessen“ anbieten, dass den Menschen an der „Heimatfront“ suggerieren sollte, an diesen Tagen mit den Frontsoldaten sozusagen aus einem Topf zu essen. Aufgrund des weitgehenden Fehlens kalorienhaltiger Bestandteile stieß dieses Angebot allerdings auf wenig Begeisterung.

Am 14. Januar wurde das Ergebnis der gerade abgeschlossenen Sammlung von Wintersachen für die Soldaten an der Ostfront bekanntgegeben, die als „wichtiger „Beitrag zur Erringung des deutschen Endsieges“ propagiert worden war. Insgesamt waren 67 Millionen Einzelstücke abgeliefert worden, die mehr als 4.000 Eisenbahnwaggons füllen würden. Die NS-Propaganda wertete die Sammlung als sichtbaren Beweis für die feste Verankerung des „Volksgemeinschafts“-Gedankens in der Bevölkerung. Schon elf Tage zuvor hatte Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten am 3. Januar sämtliche für den Winter angesetzten skisportlichen Veranstaltungen einschließlich der in Garmisch-Partenkirchen geplanten Ski-Weltmeisterschaften abgesagt, um Skier und Ausrüstung der Ostfront zur Verfügung stellen zu können. Wie wichtig solche Hilfestellungen für die auf einen russischen Winter vollkommen unzureichend vorbereitete Wehrmacht waren, zeigten erschreckende Zahlen: Bis Februar sollte es seit Einbruch des Winters unter den deutschen Soldaten nach offizieller Erhebung 14.357 schwere, 62.000 mittlere und 36.270 leichtere Erfrierungen geben.

 

Zum Jahresbeginn wurde der jüdischen Bevölkerung zum wiederholten Mal vermittelt, dass sich ihre Situation zunehmend auswegloser gestaltete und schier hoffnungslos war. In seiner „Neujahrsbotschaft“ verwies Adolf Hitler in altbekannter Form erneut darauf, dass sich hinter der „internationalen eiskalten Finanzgesellschaft“, die den Krieg gewollt habe, „als eine treibende Kraft der Jude“ sehe, „der sich als letztes Ergebnis dieses Krieges die unter dem Bolschewismus getarnte jüdische Diktatur der Welt“ verspreche. Erneut verwies er auf die immer wieder bemühte „jüdisch-kapitalistisch-bolschewistische Weltverschwörung“, die es zu verhindern gelte. „Der Jude aber wird nicht die europäischen Völker ausrotten, sondern er wird das Opfer seines eigenen Anschlages sein.“

Entsprechend begann das neue Jahr mit weiteren Restriktionen. So musste nicht nur die Abteilung „Wanderung“ der Reichsvereinigung der Juden direkt am 1. Januar ihre Arbeit einstellen, sondern zwei Tage später wurde angesichts der bevorstehenden „Endlösung der Judenfrage“ gleich jegliche Form von Auswanderung von deutschen und staatenlosen Juden aus dem Reich in Gänze unterbunden. Es blieb allein dem Reichssicherheitsamt vorbehalten, in Sonderfällen besondere Auswanderungsanträge zu bewilligen, „wenn die Auswanderung den Interessen des Reichs dient“.

Ebenfalls am 3. Januar verfügte der Leiter der Parteikanzlei, dass das Vermögen der jüdischen Kultusvereinigungen und der Reichsvereinigung der Juden künftig nicht mehr als jüdisch anzusehen sei, sondern als Vermögen gelten würde, das den „Zwecken des Reiches“ zu dienen habe. Die Zentralstelle für die Auswanderung von Juden würde diese Mittel nun für die Erfüllung ihrer Aufgaben nutzen, worunter insbesondere die „Endlösung der Judenfrage“ verstanden wurde.

Im Alltag der Betroffenen wurden wohl jene zahlreichen Einschränkungen deutlicher spürbar, die seitens des NS-Regimes weiterhin in steter Regelmäßigkeit verfügt wurden. Am 5. Januar ordnete das Reichssicherheitshauptamt an, dass Jüdinnen und Juden sämtliche sich in ihrem Besitz befindlichen Pelz- und Wollsachen sowie Skier und Skibekleidung im Rahmen einer Sammelaktion für die Ostfront bis zum 16. Januar abzuliefern hatten. Mit drohendem Unterton wurde ergänzt, dass diese über die Bezirksstellen der Reichsvereinigung und die örtlichen jüdischen Vertrauensmänner der Kultusvereinigungen abzuwickelnde Ablieferung freiwillig geschehen solle, um so Haussuchungen zu vermeiden. „Vergütung wird nicht gewährt.“

Zwei Tage später wurde der jüdischen Bevölkerung auf Anordnung des Reichsführers-SS die Benutzung öffentlicher Fernsprechstellen untersagt und Zuwiderhandlungen mit harten Polizeistrafen belegt. Wiederum nur einen Tag darauf verschärfte der Reichsstatthalter in Hessen am 8. Januar die seit dem 18. September des Vorjahres ohnehin schon sehr restriktiv gehandhabte Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nochmals deutlich. durch Juden: Ergänzungen zu der Anweisung des Verkehrsministers vom 18.9.41. Schwere Beschränkungen hinsichtlich der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch Juden. Am 12. des Monats forderte Josef Goebbels, dass künftig weder im Abonnement noch an Kiosken Zeitungen an Juden verkauft werden dürften, woraufhin dann am 17. Februar ein entsprechendes Verbot erlassen wurde. Am 23. Januar wurde zudem die Erteilung von Privatunterricht für jüdische Kinder bis auf wenige Ausnahmefälle untersagt.

Der Monat endete, wie er begonnen hatte mit Äußerungen Hitlers, die an Deutlichkeit kaum zu übertreffen waren und deutlich machten, was in den folgenden Monaten zu erwarten war. Man müsse „radikal handeln“, ließ er am 23. Januar im Rahmen eines seiner „Tischgespräche“ wissen und bemühte ein Bild aus der Medizin: „Wenn man einen Zahn zieht, tut man es mit einem Zug, und der Schmerz ist schnell vorbei.“ So gelte es auch die jüdische Bevölkerung, die „aus Europa heraus“ müsse, zu behandeln. Daran, dass das für die Betroffenen kein gutes Ende nehmen würde, ließ er keinen Zweifel: „Wenn sie auf der Reise die Rippen brechen, kann ich nichts machen. Aber wenn sie sich weigern, freiwillig zu gehen, sehe ich keinen anderen Weg als die Ausrottung.“

In seiner traditionellen Rede zum Jahrestag der NS-Machtübernahme wiederholte Hitler am 30. Januar im Berliner Sportpalast erneut den stetig wiederholten Topos: Schuld am Krieg sei „das ewige Judentum“, was letztlich nur eine Konsequenz haben könne. „Wir sind uns dabei im Klaren darüber, dass der Krieg nur damit enden kann, dass entweder die arischen Völker ausgerottet werden, oder dass das Judentum aus Europa verschwindet.“ Mit Bezug auf seine Rede vom 1. September 1939 hielt er weiterhin an seinem Ziel fest, nämlich „dass das Ergebnis dieses Krieges die Vernichtung des Judentums sein wird“.

Während die Grundsatzentscheidung in dieser Frage wohl schon im letzten Viertel des Vorjahres gefallen war, wurden im Januar 1942 die endgültigen organisatorischen Weichen zur Umsetzung der „Endlösung“ gestellt.Sechs Wochen nach Beginn der Deportationen hatte Reinhard Heydrich am 29. November 1941 einige Vertreter der wichtigsten Ministerien sowie der SS zu einer Besprechung zur Vorbereitung einer „Gesamtlösung der Judenfrage in Europa“ zum 9. Dezember nach Berlin eingeladen. Nachdem der Termin kurzfristig verschoben worden war, erneuerte er am 8. Januar 1942 seine Einladung zur später so genannten „Wannsee-Konferenz“, die nun am 20. Januar stattfand.

Das Konferenzprotokoll, von dem lediglich ein einziges Exemplar überliefert ist, basierte auf stenographischen Notizen, die Adolf Eichmann während der Sitzung gefertigt, anschließend ausgearbeitet und dann auf Anweisung Heydrichs mehrfach umformuliert hatte. In ihm wird in verschleiernd-bürokratischem Vokabular das Vorgehen beim künftigen Massenmord erörtert. Tatsächlich wurde wohl weitaus deutlicher und drastischer vom „Töten und Eliminieren und Vernichten“ und über die dabei erwarteten organisatorischen Schwierigkeiten gesprochen. Hinsichtlich des Hauptthemas, der Ermordung von elf Millionen Juden in Europa, gab es dabei keinerlei grundlegende Meinungsverschiedenheiten.

Nur elf Tage nach der Wannsee-Konferenz begann Adolf Eichmann am 31. Januar 1942 damit, die Deportationen neu zu regeln. Per „Schnellbrief“ teilte der den Staatspolizeileitstellen im Reichsgebiet mit, dass die bereits laufenden Deportationen den „Beginn der Endlösung der Judenfrage im Altreich, der Ostmark und im Protektorat Böhmen und Mähren“ darstellen würden, diese aufgrund von Transportschwierigkeiten und fehlender Aufnahmekapazitäten zunächst allerdings lediglich in „Teilaktionen“ durchgeführt werden könnte. Für eine genauere Planung verlangte er eine umgehende Aktualisierung der Statistik. Bis zum 9. Februar 1942 sollten ihm die Stapostellen melden, wie viele Jüdinnen und Juden in ihrem Zuständigkeitsgebiet für eine Deportation in Frage kommen würden.

Zeitgleich liefen bereits die Vorbereitungen zur Ausdehnung der Transporte. So wurde seitens der deutschen Besatzungsmacht in den Niederlanden seit dem 14. Januar zur Vorbereitung der Deportationen damit begonnen, die Juden aus den Dörfern und Kleinstädten zu verlegen und in Amsterdam zu konzentrieren. Staatenlose Jüdinnen und Juden wurden im Zuge dieser Maßnahme im KZ Westerbork interniert.

Am 26. Januar teilte Heinrich Himmler dem Chef der Inspektion der Konzentrationslager, Richard Glücks, mit, er beabsichtige, „von den Juden und Jüdinnen, die aus Deutschland ausgewandert werden, eine große Anzahl in die Lager“ zu schicken. Im Laufe der nächsten vier Wochen sei mit 100.000 Männern und bis zu 50.000 Frauen zu rechnen.

Nachdem im Oktober und November 1941 etwa 20.000 Juden aus dem gesamten Reichsgebiet und dem Protektorat sowie 5.000 sogenannte Zigeuner aus dem Burgenland zunächst zusätzlich zu den damals bereits rund 144.000 Insassen im Getto Litzmannstadt zusammengepfercht worden waren, begannen hier unter dem Vorwand eines Arbeitseinsatzes im Januar 1942 die Deportationen polnischer Gettobewohner nach Kulmhof, wo allein zwischen dem 12. und 29. Januar 10.103 von ihnen ermordet wurden. - Bis Ende Mai 1942 stieg deren Zahl auf geschätzt 55.000, darunter auch annähernd 20.000 aus dem Reichsgebiet nach Lizmannstadt deportierte Jüdinnen und Juden.

Baum wird geladen...