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Chronik und Quellen
1942
Mai 1942

Mai 1942

Im Mai gab es an der Ostfront erhebliche Bewegungen. Zunächst startete die Rote Armee am 12. des Monats eine Offensive zur Rückgewinnung von Charkow, wurde aber durch eine am 17. Mai begonne Gegenoffensive der deutschen 6. Armee erheblich geschwächt. Bis zum 28. Mai wurden zwei sowjetische Armeen komplett aufgerieben und 240.000 Soldaten gefangengenommen. Am 16. Mai eroberte die Wehrmacht außerdem Stadt und Hafen von Kertsch auf der Krim, womit den Sowjets dort nur noch Sewastopol als Brückenkopf verblieb. Damit waren die militärischen Voraussetzungen für eine von der Bevölkerung sehnlichst erwartete deutsche Sommeroffensive gegeben.

Für viele Deutsche – nicht nur NS-Funktionäre – dürfte es ein Schock gewesen sein, als am 27. Mai auf den stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, in Prag ein Attentat verübt wurde, dem er wenige Tage später erlag. Das Ereignis sollte im Juni grausige Racheakte der deutschen Besatzer nach sich ziehen.

Nachdem die Royal Air Force am 20. Mai Mannheim angegriffen hatte, erreichte der Luftkrieg gegen das Deutsche Reich elf Tage später eine neue Dimension. Beim ersten „1.000-Bomber-Angriff“ der Geschichte wurde in der Nacht zum 31. Mai innerhalb von 90 Minuten die gesamte Kölner Innenstadt weitgehend zerstört. 474 Menschen kamen ums Leben, 45.000 wurden obdachlos. Als Vergeltung griff die deutsche Luftwaffe einen Tag später die britische Stadt Canterbury an.

In diesem Jahr wurde der „Tag der nationalen Arbeit“ vom 1. Mai, einem Freitag, auf den nächsten Tag verlegt, um den Beschäftigten so zwei freie Tage hintereinander zu sichern. Erstmals wurden zur Feier dieses Tags 19 Unternehmen als „Kriegsmusterbetrieb“ ausgezeichnet, weitere 76 als „NS- Musterbetriebe“. Ein wesentliches Bewertungskriterium war dabei der Grad, in dem es gelungen war, die Belegschaften dem Führerprinzip von Befehl und Gehorsam zu unterwerfen. Die Hauptsache war angesichts der Rüstungsanstrengungen jedoch das Erzielen einer hohen Dauerleistung der Beschäftigten. Diesem Ziel diente auch die Einführung des „Ritterkreuzes zum Kriegsverdienstkreuz“, das am 20. Mai mit einem Staatsakt erstmals an einen Rüstungsarbeiter verliehen wurde. Einige Tage zuvor hatte Hitler außerdem „Leistungsprämien“ in Form von Schnaps und Tabak für eine Millionen Beschäftigte kriegswichtiger Betriebe ausgelobt, um so die Leistungsbereitschaft zu erhöhen.

Am 11. Mai wurde im Reichsgebiet der freie Verkauf von Kartoffeln verboten. Zugleich wurde auch der Verkauf von Spirituosen in die Zwangsbewirtschaftung einbezogen. Angesichts der mit der Versorgung verknüpften Dauerprobleme werden es wohl viele mit Genugtuung aufgenommen haben, als Ernährungsminister Richard Walther Darré am 23. Mai offiziell aufgrund gesundheitlicher Probleme, faktisch allerdings wegen seiner Unfähigkeit, die Lebensmittelversorgung im Deutschen Reich sicherzustellen, von Hitler seines Amtes enthoben und durch Herbert Backe als kommissarischen Nachfolger ersetzt wurde. In seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan erließ Hermann Göring vier Tage später eine „Verordnung über die Sicherung des Gefolgschaftsstandes in der Kriegswirtschaft“, durch die sowohl Kündigungen von Arbeitnehmern als auch eigenmächtige Entlassungen von Werksseite vollends verboten wurden.

Am 9. Mai wurde im Berliner Lustgarten auf 9.000 Quadratmeter Fläche die antisowjetische Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies“ eröffnet. Es handelte sich um eine hetzerische Präsentation, die den „Tiefstand der Lebenshaltung“ in der Sowjetunion zur Schau stellen sollte, um so die antirussische Stimmung in der Bevölkerung zu schüren und die angebliche Unabdingbarkeit des Krieges in den Köpfen zu verfestigen.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Zum Monatsbeginn ordnete der Reichsführer-SS am 1. Mai ein Verbot der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch die jüdische Bevölkerung an. Dabei wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass die neuen Bestimmungen genauestens beobachtet und bei Zuwiderhandlungen seitens der Staatspolizei bestraft würden. Eine Woche später wurde diese Verordnung nochmals dahingehend präzisiert, dass Erlaubnisscheine zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel von Jüdinnen und Juden grundsätzlich nur zu Berufsfahrten und zum Schulbesuch benutzt werden dürften.

Ansonsten rückte im Reichsgebiet das Thema „Mischlinge“ und „Mischehen“ weiter in den Mittelpunkt. So stellte etwa die Gestapo Koblenz am 10. Mai fest, dass „außereheliche Beziehungen jüdischer Mischlinge zu deutschblütigen Frauen und Mädchen“ zunehmen würden und forderte, die „Mischlinge“ künftig zu zwingen, „diese Beziehungen abzubrechen und in Zukunft nicht wieder aufzunehmen“. „Im Wiederholungsfall ist Haft anzuordnen. Die hiervon betroffenen Frauen sind mit polizeilichen Maßnahmen zu bedrohen.“

Weitere Diskriminierungen kamen hinzu. Seit dem 12. Mai durften Jüdinnen und Juden, die in der Öffentlichkeit den „Judenstern“ tragen mussten, von mehr von nichtjüdischen Friseuren bedient werden. Kurz darauf wurde am 17. Mai verfügt, dass die Vorschriften des al gleichen Tag verkündeten Mutterschutzgesetzes auf jüdische Frauen keine Anwendung finden würden. Ausnahmen würden nur bei werdenden Müttern gemacht, die in einem Beschäftigungsverhältnis stünden. Auch die finanzielle Ausplünderung ging unvermindert weiter. So teilte das Reichswirtschaftsministerium am 23. Mai mit, dass nicht mehr nach dem Verbleib von Entschädigungen zu forschen sei, die der jüdischen Bevölkerung für abgelieferte Wertgegenstände gemäß der Anordnung vom 21. Januar 1939 noch zustehen würden, weil diese Beiträge künftig ohnehin über die Pfandleihanstalten und die Zentralstelle in Berlin an die Reichshauptkasse abgeführt würden. Die NS-Verantwortlichen versuchten offenbar an alles zu denken. Am 26. Mai verschickte der Leiter der Parteikanzlei eine Verfügung, laut der künftig der Verkauf „deutscher Volkstrachten an Fremdvölkische und Juden“ verboten war. Auch der Kauf von Lebensmitteln wurde der jüdischen Bevölkerung weiter dadurch erschwert, dass am 31. Mai bestimmt wurde, dass frei zugängliche Lebensmittel nur noch dann an sie verkauft werden dürften, „wenn kein Mangel für die deutsche Bevölkerung“ bestehe.

Als Folge der Wannsee-Konferenz widmete sich die Gestapo reichsweit der Verschleppung der jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Eine neue Dynamik bekam dieser Prozess Ende Mai 1942, als Hitler erstmals persönlich deren Abzug aus der Rüstungsindustrie verlangte.

Bis ins Frühjahr 1942 hinein waren die aus dem Reichsgebiet und dem „Protektorat“ deportierten Juden an den jeweiligen Zielorten ihrer Transporte in Gettos oder Lager eingewiesen worden. Diese waren bis dahin häufig von polnischen Jüdinnen und Juden bewohnt gewesen, die unmittelbar vor der Ankunft der Züge in Vernichtungslagern ermordet wurden. Von Mai 1942 an änderte sich diese Praxis, ohne das bislang eindeutig rekonstruierbar wäre, wann und wie genau die Entscheidung dafür zustande kam, dass künftig auch der Großteil der deutschen und westeuropäischen Juden zu ermorden sei. Bekannt ist lediglich, dass sich Himmler und Heydrich im April und Mai mehrfach trafen, ohne dass jedoch Protokolle dieser Besprechungen überliefert wären. Im Mai begann dann die vierte Serie von Deportationen aus dem Deutschen Reich.

Damit dürften die neuen Richtlinien für weitere Deportationen aus dem Reichsgebiet in Verbindung stehen, die Gestapochef Heinrich Müller im Mai verkündete, nachdem nach seinen Worten „im Zuge der Evakuierungsaktion Lublin/Izbica“ nahezu der gesamte dafür in Betracht kommende Teil der jüdischen Bevölkerung erfasst worden war. „Um die im Osten noch vorhandenen Aufnahmemöglichkeiten für eine weitere Evakuierung restlos ausnützen zu können“, so die verklausulierte Umschreibung für neue Deportationen, sollten nunmehr die sich in den jeweiligen Gestapobezirken noch aufhaltenden Jüdinnen und Juden in Listen erfasst werden, „die unter genauester Beachtung der Richtlinien evakuiert werden können“. Hiervon ausgenommen blieben zunächst noch „jüdische Ehegatten aus nicht mehr bestehenden Mischehen“, soweit sie vom Tragen eines „Judensterns“ befreit seien, „Geltungsjuden (Mischlinge jüdischer Konfession), sofern sie nicht mit einem Juden verheiratet sind“, Schwerkriegsbeschädigte und Träger hoher Tapferkeitsauszeichnungen sowie jene, die sich „im kriegswichtigen Arbeitseinsatz“ befinden würden. Mit Ausnahme der letztgenannten Gruppe sollten alle Übrigen dann aber „zu gegebener Zeit“ nach Theresienstadt deportiert werden.

Von Mai bis September 1942 fuhren daraufhin 17 Züge mit insgesamt 16.000 Jüdinnen und Juden aus verschiedenen deutschen und österreichischen Städten sowie aus dem „Protektorat“ nach Minsk. Anders als bei vorangegangenen Deportationen wurden sie nicht ins dortige Getto eingewiesen, sondern - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auf dem wenige Kilometer von der Stadt entfernt liegenden, kurz zuvor von der Sicherheitspolizei beschlagnahmten Gutshof Malyj Trostinez ermordet. Ebenfalls im Mai wurden auch jene Jüdinnen und Juden, die Ende 1941 aus dem Reichsgebiet ins Getto Litzmannstadt deportiert worden waren, in die Vernichtung einbezogen. Sie wurden - ebenso wie zuvor ausschließlich polnische Juden aus Litzmannstadt - nach Kulmhof gebracht und dort in Gaswagen ermordet.

In Sosnowitz und Bendzin in Ostoberschlesien begannen die Deportationen am 12. Mai. Rund 34.500 Jüdinnen und Juden, die die NS-Verantwortlichen nicht als wertvolle Arbeitskräfte einstuften, wurden in das nahegelegene Vernichtungslager Birkenau transportiert, wo sie umgehend und ohne weitere Selektion in den Gaskammern ermordet wurden. Nachdem seit Anfang Mai Jüdinnen und Juden aus dem Distrikt Lublin in das Vernichtungslager Sobibor deportiert wurden, nahm die Sicherheitspolizei Ende des Monats zudem Deportationen aus dem Distrikt Krakau in das gerade erweiterte Vernichtungslager Belzec auf.

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