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Chronik und Quellen
1937
Juli 1937

Das Erziehungsministerium zur Auswirkung des Reichsbürgergesetzes auf das Schulwesen

„Die Vorschriften des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 und der Ersten Verordnung vom 14. November 1935 zum Reichbürgergesetz (RGBl. I S. 1333) haben über die Rechtsstellung der Juden im deutschen Reichsgebiet eine grundsätzliche Klärung gebracht. Die Schulerziehung der jüdischen Kinder wird im Anschluß hieran zu gegebener Zeit reichsgesetzlich geregelt werden. Bis auf weiteres Ist nach den nachstehenden Richtlinien zu verfahren:

I. Zulassung zum Schulbesuch.

1. Die Zulassung der Juden zum Besuch der Pflichtschulen regelt sich nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen über die Schulpflicht. Schulpflichtige Juden sind daher In den öffentlichen Pflichtschulen zu unterrichten, soweit sie nicht nach gesetzlichen Vorschriften von der Schulpflicht befreit sind oder die Schulpflicht ruht oder durch den Besuch privater Schulen erfüllt wird. Das gleiche gilt für die jüdischen Mischlinge.

2. Soweit nach den örtlichen Verhältnissen eine abgesonderte Beschulung der jüdischen Schüler im Rahmen eines geordneten Schulbetriebes und ohne besondere Mehrbelastung der Unterhaltsträger möglich ist und private jüdische Schulen nicht vorhanden sind, wird den Unterhaltsträgern der öffentlichen Pflichtschulen nahegelegt, mit schulaufsichtlicher Genehmigung besondere Schulen oder Sammelklassen für jüdische Schüler einzurichten. Werden solche Schulen oder Sammelklassen eingerichtet, so sind sie als Bestandteil der öffentlichen Schule nach den allgemeinen Vorschriften zu unterhalten. Die jüdischen Schüler sind zu ihrem Besuch verpflichtet. Als Lehrer sind Juden (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz), allenfalls jüdische Mischlinge (§ 2 a.a.O.) zu verwenden, und zwar empfiehlt es sich, In erster Linie nach § 3 des Berufsbeamtengesetzes oder § 4 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz ausgeschiedene Lehrer aufzufordern und Im Falle Ihres Einverständnisses ohne Berufung In das Beamtenverhältnis auftragsweise zu beschäftigen.

Die hiernach an preußischen Volksschulen verwendeten jüdischen Lehrkräfte Sind nach § 20 des Volksschullehrerbesoldungsgesetzes in der Fassung der Ersten Sparverordnung in Höhe der Anfangsvergütung zu besolden. Die Vorschriften über die Anrechnung früherer Dienstzeiten sowie die Bestimmungen des preußischen Runderlasses vom 1, Juni 1927 - U III E 1242 - (Zentrbl. f. d. ges. Unterr. - Verw. S. 220) über das Dienstalter der wiederbeschäftigten Ruhegehaltsempfänger sind nicht anzuwenden. Soweit in preußischen Volksschulen freie Volksschulstellen vorhanden sind, die an die jüdischen Schulen oder Sammelklassen übertragen werden können, bin ich damit einverstanden, daß die Dienstbezüge aus der Landesschulkasse gezahlt werden. Andernfalls müssen die Dienstbezüge von der Gemeinde getragen werden.

In jedem Falle gelten für wiederbeschäftigte Ruhegehaltsempfänger die allgemeinen Ruhensvorschriften für das Ruhegehalt, da es hier nur auf Beschäftigung im öffentlichen Schuldienst ankommt und nicht auf die Verwendung im Beamtenverhältnis.

3. Die Zulassung der Juden zum Besuch der Wahlschulen (mittlere, höhere und Fachschulen) regelt sich nach den Bestimmungen des Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 (RGBl. I S. 225) und den dazu ergangenen Ausführungsvorschriften. An Orten, an denen ausschließlich für den Besuch jüdischer Schüler bestimmte Wahlschulen bestehen, ist bei Neuaufnahmen nach meinem Runderlaß vom 5. März 1935 - E II c 185 usw. - zu verfahren. Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2 dieses Erlasses werden aufgehoben. Gegen den Übergang eines jüdischen Schülers von einer allgemeinen mittleren oder höheren Schule auf eine jüdische Schule bestehen grundsätzlich keine Bedenken.

4. Jüdische Mischlinge können grundsätzlich an jeder Wahlschule zugelassen werden. Die Beschränkungen des Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 für die Mischlinge, die aus nach dem 26. April 1933 geschlossenen Ehen hervorgegangen sind, sind durch die Nürnberger Gesetze hinfällig geworden. Den von zwei volljüdischen Großelternteilen abstammenden jüdischen Mischlingen ist auch der Besuch jüdischer Schulen oder Sammelklassen für jüdische Schüler gestattet. Die Namen der die jüdischen Schulen oder die Sammelklassen für jüdische Schüler besuchenden und dort neu eintretenden Staatsangehörigen jüdischen Mischlinge sind der zuständigen Schulaufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen. Diese hat darüber durch meine Hand an den Herrn Reichs- und Preußischen Minister des Innern zu berichten, der im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers darüber entscheiden wird, ob Ihnen künftig das Reichsbürgerrecht zuerkannt werden kann. Treten die Schüler zur jüdischen Religion über, so werden sie gemäß § 5 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz zu Juden. Eine Mitteilung der Namen Ist in diesem Falle nicht erforderlich.

5. Kann an einer Wahlschule zur Vermeidung sonst notwendig werdender Klassenteilungen oder aus anderen Gründen nur eine bestimmte Zahl von Schülern aufgenommen werden, so ist bei der vorzunehmenden Auslese neben der geistigen und charakterlichen Eignung auch die rassische Zugehörigkeit der Schüler zu berücksichtigen.

II. Teilnahme an Schulveranstaltungen besonderer Art.

1. Staatsangehörige jüdische Mischlinge (§ 2 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz), die die allgemeinen Schulen besuchen, haben, wie jeder andere Schüler, an allen Schulveranstaltungen der Schule einschließlich besonderer Gemeinschaltsveranstaltungen außerhalb des schulplanmäßigen Unterrichts (z.B. Schulausflügen, Besuch von Schullandheimen, Sportfesten u. dgl.) teilzunehmen.

Der preußische Runderlaß vom 16. Juni 1934 - U II I 4949 - wegen des Ausschlusses nichtarischer Schüler von den nationalpolitischen Lehrgängen ist gemäß § 6 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 außer Kraft getreten.

2. Staatsangehörige jüdische Schüler (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz), die die allgemeinen Schulen besuchen, haben nach Maßgabe der hierüber ergangenen Bestimmungen am lehrplanmäßigen Unterricht teilzunehmen. An jüdischen Feiertagen und am Sonnabend kann ihnen auf Antrag der Erziehungsberechtigten ganz oder teilweise Befreiung erteilt werden. (Vgl. den Runderlaß des Reichsund Preußischen Ministers des Innern an die Unterrichtsverwaltungen der Länder vom 27. Februar 1934 - IV 3250/ 8.8. - und den preußischen Runderlaß vom 16. März 1934 - U II G 3839/33 -.)

Von der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen außerhalb des schulplanmäßigen Unterrichts (vgl. Ziff. 1) sind die jüdischen Schüler ausgeschlossen.

3. Ausländischen jüdischen Schülern, die die allgemeinen Schulen besuchen, kann die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen außerhalb des lehrplanmäßigen Unterrichts nach Maßgabe der allgemeinen Schulordnung und der jeweiligen besonderen Anordnungen des Schulleiters gestattet werden, wenn daraus Schwierigkeiten nicht zu besorgen sind.

III. Zulassung zur Prüfung als Nichtschüler. Reifeprüfung an jüdischen Schulen.

1. Zur Reifeprüfung als Nichtschüler und zu den sprachlichen Ergänzungsprüfungen (Lateinisch, Griechisch usw.) sind jüdische Bewerber deutscher Staatsangehörigkeit nicht zugelassen. Sofern sie an einer nicht mit selbständigem Prüfungsrecht ausgestatteten jüdischen Schule unterrichtet worden sind, können sie zur Ablegung der Reifeprüfung an einer öffentlichen höheren Schule zugelassen werden.

Jüdischen Mischlingen ist die Ablegung der Prüfung In jedem Falle gestattet.

Die preußischen Runderlasse vom 28. März 1933 - U II G 1953 -, 9. November 1933 - U II G 2732 -, 8. Januar 1934 - U II G 3001 -, 9. April 1934 - U II G 4059 -sind auf Grund des § 6 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz mit dem 1. Januar 1936 außer Kraft getreten.

2. Werden an jüdischen höheren Schulen Reifeprüfungen abgehalten, so sind die Abgangszeugnisse ausdrücklich als Zeugnisse jüdischer höherer Schulen zu kennzeichnen. (Vgl. Erlaß vom 12. Dezember 1935 - E III c 2066 M -.)

Das Zeugnis verleiht im Rahmen dar für die Juden deutscher Staatsangehörigkeit geltenden Beschränkungen die gleichen Berechtigungen wie die Reifezeugnisse anderer anerkannter, mit selbständigem Prüfungsrecht ausgestatteter Privatschulen.

1. Ziff. I, 10-12 des preußischen Runderlasses vom 22. Juni 1933 — U II D 2421 usw. - (Zentrbl. 1. d. ges. Unterr.-Verw. S. 201) sowie die Erlasse vom 25. Oktober 1933 - U II M 2022 betreffend die Zulassung von Nichtariern zu den Wohlfahrtsschulen, Landpflegeschulen und Sozialpädagogischen Seminaren, vom 24. April 1933 - U II M 169 -, betreffend den Ausschluß nichtarischer Bewerber von der schulwissenschaftlichen Vorprüfung für die Aufnahme an Wohlfahrtsschulen, Sozialpädagogischen Seminaren usw., vom 2. August 1934 - U II M 1409 U II G -, betreffend den Ausschluß von nichtarischen Bewerbern (Bewerberinnnen), werden durch vorstehende Bestimmungen ersetzt und treten damit außer Kraft.

2. Wo in bisherigen Erlassen der Ausdruck "Nichtarier" verwandt Ist, sind darunter, soweit durch Gesetz oder Verordnung nichts anderes bestimmt Ist oder sich aus den vorstehenden Bestimmungen nichts anderes ergibt, nur "Juden" zu verstehen. In Zweifelsfällen Ist mir zu berichten.

3. Von der Durchführung dieses Erlasses Ist abzusehen, soweit Vorschriften aus internationalen Verträgen entgegenstehen.

Berlin, den 2. Juli 1937.

Der Reichs - und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.
E II e 1564 (b).“

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