Mai 1933
Der Mai brachte zunächst in mehrfacher Hinsicht weitreichende Veränderungen für Gewerkschaften und Arbeiterbewegung. Nachdem letztere jahrzehntelang hierum gekämpft hatte, wurde der 1. Mai – seit 1890 Kampftag der Arbeiterbewegung - ausgerechnet durch das NS-Regime zum „Feiertag der nationalen Arbeit“ erhoben und mit großem Pomp begangen. Zentrale und reichsweit übertragene Veranstaltung war dabei eine Kundgebung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin, während der Hitler die Überwindung von „Standesdünkel und Klassenwahnsinn“ forderte. Zugleich kündigte er publikumswirksam weitere Maßnahmen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit an.
Bereits der nächste Tag brachte für viele eine bittere Ernüchterung: Im gesamten Reichsgebiet besetzten nämlich am Morgen des 2. Mai SA und SS-Einheiten auf der Grundlage eines bereits am 21. April erteilten Befehls von Robert Ley die Häuser der freien, sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften und von deren Presseorganen. Zuvor hatten – obwohl bereits bis zum 25. März allein 46 Gewerkschaftshäuser besetzt worden waren – viele Gewerkschaftsführer geglaubt, ihre Organisationen durch weitgehende Anpassung auch unter dem NS-Regime erhalten zu können, weshalb etwa der ADGB seine Mitglieder zur Teilnahme am „Tag der nationalen Arbeit“ aufgerufen hatte. Einen Tag später wurden nunmehr 50 Gewerkschaftsfunktionäre festgenommen, von denen viele brutal misshandelt und einige ermordet wurden. Erst am 10. Juni werden sie nach der Versicherung entlassen, künftig auf jede Gewerkschaftsarbeit im „marxistischen“ Sinn zu verzichten.
Noch am Vormittag des 2. Mai teilte Robert Ley als Führer eines „Aktionskomitees zum Schutz der deutschen Arbeit“ mit, dass nunmehr die zweite Phase der NS-Revolution beginne. Nachdem die NSDAP die politische Macht erlangt habe, gelte es nunmehr, den deutschen Arbeiter zu gewinnen. Zugleich setzte Ley für die verhafteten und entlassenen demokratisch gewählten Funktionäre auch im Bereich der Gewerkschaften „Kommissare“ ein, die die Arbeit bestimmen und überwachen sollen. Gut eine Woche später tagte unter Schirmherrschaft Hitlers am 10. Mai der 1. Kongress der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) unter ihrem ebenfalls vom Reichskanzler eingesetzten Leiter Robert Ley. Die DAF sollte – nicht ohne Druck auszuüben – die Mitglieder der gleichgeschalteten Gewerkschaften zusammenfassen, wobei nunmehr allerdings statt Klassenkampf auch hier die „Volksgemeinschaft“ im Vordergrund aller Verlautbarungen stand. Bereits Ende 1933 wird die DAF rund 5,3 Millionen Mitglieder zählen.
Eine ähnliche Intention lag dem am 19. Mai verabschiedeten Gesetz zugrunde, mit dem „Treuhänder der Arbeit“ in den 13 Wirtschaftsbezirken des Deutschen Reiches eingeführt wurden, von denen die ersten zwölf dann am 15. Juni von Hitler ernannt werden sollten. Bis zur Neuregelung der Sozialverfassung sollten diese Treuhänder die Tarifparteien ersetzten, indem sie ohne Berücksichtigung anderer Meinungen die Lohn- und Arbeitsbedingungen festlegten, um - so die Sicht des NS-Regimes – auf diese Weise den „Arbeitsfrieden“ zu sichern. Die Arbeitnehmer waren damit weitgehend entmachtet.
Das galt allerdings auch für die Wirtschaftsverbände. Obwohl deren führende Repräsentanten der Reichsregierung seit April „unbedingte Gefolgschaftstreue“ zugesichert hatten und sich Gustav Krupp als Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) am 3. Mai ausdrücklich „zu den Grundsätzen der nationalen Regierung“ bekannt hatte, wurden die Körperschaften des RDI am 22. Mai aufgelöst. Als am 19. Juni RDI und die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (VDA) zum Reichsverband der Deutschen Industrie zusammengefasst wurden, war ein weiterer Schritt zur berufsständischen Wirtschaftsordnung vollzogen und der Gleichschaltungsprozess im Wirtschaftsbereich weitgehend abgeschlossen.
Aber auch in anderen Bereichen der Wirtschaft wurden beileibe nicht alle Hoffnungen erfüllt, was in besonderem Maße für den Handel galt. Am 12. Mai erließ die Reichsregierung ein Gesetz zum Schutz des Einzelhandels, wodurch Einheitspreisgeschäfte und Warenhäuser verhindert und der deutsche Einzelhandel gestärkt werden sollten. Das wirkte auf den ersten Blick als ein Entgegenkommen für die als Folge der Wirtschaftskrise vielfach vom Ruin bedrohten kleinen Einzelhändler, die zu den treuesten Wählern der NSDAP gezählt hatten.
Rigorose Maßnahmen prägten im Mai den Kultursektor. Zum Abschluss der am 13. April begonnen Aktion „Wider den undeutschen Geist“ wurden am 10. Mai von der Deutschen Studentenschaft reichsweit öffentliche Bücherverbrennungen organisiert. In deren Verlauf wurden nach Verlesung von „Feuersprüchen“, welche verschiedene Schriftsteller und deren Werke verunglimpften, als symbolischer Akt Bücher ins Feuer geworfen. Auf dem Berliner Opernplatz hielt Propagandaminister Goebbels eine Ansprache, in der er betonte, der „jüdische Intellektualismus“ sei nunmehr vernichtet, so dass sich die „deutsche Seele“ wieder äußern könne. Einen Tag später wurde am 11. Mai der Vorstand des Vereins Deutscher Zeitungsverleger umgebildet und damit gleichgeschaltet. Neuer Vorsitzender wurde mit Max Amann ein Vertrauter und alter Weggefährte Hitlers, der als Direktor des NSDAP-Verlags Franz Eher großen Einfluss auf das deutsche Pressewesen hatte. Zwei Tage zuvor hatte sich am 9. Mai bereits der Reichsverband Deutscher Zeitschriftenverleger gleichgeschaltet.
Auch im Gesundheitsbereich kündigten sich weitreichende Veränderungen an. So wurde am 3. Mai in Dortmund mit dem Aufbau eines „Rasseamtes“ begonnen, als dessen Ziel die Zwangssterilisation von „Verbrechern und anderen asozialen Elementen“ galt. In einem ersten Schritt sollten die rund 80.000 Dortmunder Schulkinder, dann die Bewerber für Beamtenstellen nach rassekundlichen Kriterien erfasst werden.
Das alles traf offenbar auf weitgehende Zustimmung der deutschen Bevölkerung, in der sich kaum Widerspruch oder gar Resistenz ausmachen ließen. Im Gegenteil: Am 1. Mai trat ein bereits zehn Tage zuvor bekanntgegebener Aufnahmestopp in die NSDAP in Kraft, der mit dem „ungeheuren“ Andrang zur Parteimitgliedschaft begründet wurde. Ausgenommen waren lediglich HJ-Mitglieder, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, sowie Angehörige von SA, SS und NSBO.
Und über allem thronte als unumstrittener „Führer“ weiterhin Adolf Hitler, der am 17. April in einer Rede vor dem Reichstag weiterhin seine angebliche Absicht bekräftigte, den Frieden zu erhalten und durch Abrüstung zu stabilisieren. Diese Erklärung wurde vom Parlament einmütig gebilligt, wobei sich nunmehr auch die anwesenden 65 Abgeordneten der SPD nach harten Diskussionen mit dem Exilvorstand der Partei diesem Votum anschlossen.