Chronik und Quellen - Eine Einführung
Die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas während der NS-Zeit war ein so unvorstellbares wie vielschichtiges Menschheitsverbrechen, das sich kaum aus einem einzigen Blickwinkel erfassen lässt. Das liegt unter anderem darin begründet, dass die hierfür durchgeführten Maßnahmen stets auch im Kontext der allgemeinen historischen Ereignisse und Abläufe betrachtet und beurteilt werden müssen. Hierbei spielt auch der Zeitpunkt jeweils eine große Rolle, denn während der Antisemitismus im Reichsgebiet bereits Anfang 1933 zu einem wesentlichen Teil staatlichen Handelns wurde, konnte das NS-Regime die im europäischen Ausland lebenden Jüdinnen und Juden erst im Zuge der Eroberungen während des Zweiten Weltkriegs in ihr Verfolgungs- und Vernichtungsprogramm aufnehmen. Das geschah dann unter Kriegsbedingungen aber mit unvorstellbarer Schnelligkeit und Brutalität.
Zeitliche Ungleichheiten, nationale Besonderheiten, bestimmte Interessen und Absichten von Tätern und deren Helfern, aber auch Strategien und Verhalten der Verfolgten sowie zahlreiche weitere Faktoren brachten es mit sich, dass der von NS-Seite lauthals deklarierte „Kampf gegen den Juden“ neben den großen, auf einen Völkermord hinzielenden Gemeinsamkeiten auch zahlreiche Unterschiede und Unterströmungen aufwies, die angesichts ihrer Vielfältigkeit und schieren Zahl nicht zwischen zwei Buchdecken oder in eine einzige Untersuchung gezwängt werden können. Daher versucht diese Website die ungeheure Zahl an Daten, Fakten und Schilderungen zum Gesamtkomplex des Holocaust weitgehend zusammenzutragen und inhaltlich so zu erschließen, dass sie für eine weitere Nutzung und Auswertung sinnvoll genutzt werden können.
Das wird unter dem Punkt „Chronik und Quellen“ über zwei - eng zusammenhängende - Zugänge geschehen. Zum einen soll es eine redaktionell bearbeitete „Chronik“ ermöglichen, die jeweiligen konkreten Ereignisse im Rahmen der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung Europas besser einordnen und beurteilen zu können. Auch hierzu dienen zwei Zugänge: Auf der einen Seite werden Jahr für Jahr und Monat für Monat die wichtigsten Geschehnisse im Deutschen Reich, ab 1938 dann jene auf dem zunehmend europäischer ausgerichteten Politikfeld und ab dem 1. September 1939 schließlich auch die Ereignisse auf dem europäischen Kriegsschauplatz beschrieben und in Zusammenhang zueinander gebracht. Andererseits werden all jene Ereignisse, Beschlüsse und Anordnungen skizziert, die parallel zur „großen“ Politik das Schicksal und die Behandlung der jüdischen Bevölkerung zunächst Deutschlands, dann bald jener in weiten Teilen Europas tangierte und schließlich deren Schicksal weitgehend besiegelten.[1]
Die im Rahmen dieser „Chronik“ zugängliche Quellensammlung läss sich auf zwei Wegen einsehen Das geschieht einmal unter einem primär zeitlichen Aspekt: Wenn ein beliebiger Monat in der „Chronik“ aufgerufen wird, erscheinen neben den redaktionell bearbeiteten Infotexten zugleich auch all jene Quellen, die in genau diesem Monat entstanden sind. Auf diese Art und Weise können diese originären Quellen mit den geschilderten Ereignissen und Entwicklungen des jeweiligen Zeitraums abgeglichen werden.
Der zweite Zugang ist der zielgenauere: Alle hier zusammengetragenen Quellen sind über drei Thesauri verschlagwortet: Ereignisse, Orte und Quellenart. Dadurch wird es möglich, sehr gezielt Ereignisse oder Phänomene des jüdischen Lebens zwischen 1933 und 1945 in beliebiger Kombination anzusteuern, gezielt nach Orten zu suchen oder bestimmte Arten von Quellen auszuwählen. Auch diese sind nämlich vielfältig. Neben Gesetzes und Verordnungstexten finden sich Selbstzeugnisse damals auf beiden Seiten Handelnder, neben Dokumenten aus eindeutigem NS-Kontext stehen solche aus NS-kritischen Kreisen oder aus in- wie ausländischen Zeitungen und Zeitschriften zur Verfügung. Außerdem finden sich zahlreiche Schilderungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
Noch ein wichtiger Hinweis zum Schluss: Es ist mit dem Aufbau dieser Sammlung keinesfalls beabsichtigt, fremdes „geistiges Eigentum“ anderer einfach zu übernehmen. Es geht lediglich und ausschließlich um die Inhalte der zeitgenössischen Quellen. Die in einigen der hier herangezogenen Quelleneditionen oftmals enthaltene umfangreiche und entsprechend aufwändige Kommentierung wurde daher nicht übernommen, sondern ist stets am Herkunftsort der jeweiligen Quelle einsehbar. Es sei daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei einer wissenschaftlichen Verwendung der Quelleninhalte stets auch diese Fundstellen herangezogen werden sollten.