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Briefwechsel Anneliese Assenmacher (1941)

Die im April 1928 geborene Anneliese Assenmacher (später: Mayer) besuchte 1941 die Volksschule in Köln-Brück. Über Ihre Erfahrungen während der KLV zunächst in Bad Altheide (Glatzer Bergland) und dann in Neurode (Eulengebirge) teilte Frau Mayer dem NS-Dokumentationszentrum 1999 Folgendes mit:

„Im Januar 1941 wurden wir in der Schule darüber informiert, daß wir an einer Kinderlandverschickung teilnehmen könnten. Es wurde dargestellt wie ein Ferienlager und sollte vier Wochen dauern (Letztlich aber wurden über drei Monate daraus <26.01. - 02.05.1941>). Die Eltern meiner Freundin und meine Eltern setzten sich daraufhin zusammen und beratschlagten, ob es sinnvoll sei, uns mitfahren zu lassen. Also meine Freundin Agnes und ich, wir wollten schon und noch einige Mädchen aus der Nachbarschaft und der Schule.

Am 25. Januar mußten wir uns am Deutzer Bahnhof einfinden. Auf den Bahnsteig von Deutz-Tief durften unsere Mütter nicht mit, und so mußten wir uns schon vor dem Bahnhof verabschieden. In dem ganzen Durcheinander war der Abschiedsschmerz nicht so groß. Doch als wir schon im Zug waren, entdeckte ich unsere Mütter, die zum Auenweg gelaufen waren und versuchten, von dort aus uns ausfindig zu machen. Die Zugfenster waren damals alle blau angestrichen, der Verdunklung wegen. Irgendjemand hatte ein kleines Loch eingeritzt, durch das wir unsere Mütter sehen konnten, und so schubsten meine Freundin und ich uns gegenseitig von diesem Loch weg, und dann kam das große Heulen. Doch nach der Abfahrt hatten wir uns schnell wieder beruhigt. Unsere Lagerführerinnen, sie waren sicher 18 und 20 Jahre alt, stellten sich uns vor und ließen sich von uns allen erzählen, wo wir herkamen. Wir waren 10 bis 15 Mädchen im Alter zwischen 12 und 14 Jahren aus der Brücker Volksschule. Im Zug noch lernten wir auch die anderen Mädchen, die aus einer Mülheimer Schule kamen, kennen. Die Mülheimer und Brücker Mädchen kamen nach Bad Altheide im Glatzer Bergland. Die anderen Kölner Mädchen, aus welchem Stadtteil weiß ich nicht, kamen nach Bad Landeck und Bad Reinerz. Wir wurden in einem Schwesternhaus der evangelischen Kirche untergebracht, in schönen hellen Zwei- und Dreibettzimmern. Wir waren zu dritt, und zwar Agnes und ich und noch ein Nachbarmädchen, Marianne. Am nächsten Tag lernten wir auch unsere Lehrerin, eine ältere Dame, Frl. Dorothea Duve, kennen. Sie war sehr freundlich und hatte immer für unsere Nöte Verständnis. Sie unterrichtete uns im Haus jeden Vormittag in allen Schulfächern. Für das Essen zuständig waren die evangelischen Schwestern im Haus.

In den ersten Wochen war alles neu für uns und schön. Eine herrliche Umgebung, die wir durchwanderten. Das Essen war reichlich und gut. Dann wurde die Oberschwester abgelöst, und eine Schwester Luise übernahm im Haus das Kommando. Sie schimpfte ständig hinter uns her, und, wenn man nicht schnell genug war, konnte man auch eine Ohrfeige erhalten. Ihre Anwesenheit wirkte sich auch auf das Essen aus. Es war nicht genug und teilweise auch ungenießbar. Viele Kinder verloren an Gewicht, einige sogar bis zu elf Pfund. Mittlerweile waren aus den vier Wochen schon acht geworden, und ein Kind nach dem anderen bekam Heimweh. Die Schwester Luise hatte auch verlangt, daß wir uns Bettwäsche von zu Hause schicken lassen sollten. Unsere Eltern waren ratlos. Wie hätten wir denn alles bei einer Rückkehr in einen Koffer kriegen sollen.

Unser Tagesablauf war eigentlich ganz unterhaltsam. Vormittags erhielten wir bei Fr. Duve Unterricht, nachmittags wurden Hausaufgaben gemacht, es gab auch eine Putz- und Flickstunde, in der wir unsere Wäsche und Kleidung in Ordnung bringen mußten. Es gab eine Schreibstunde, in der wir Briefe schreiben durften. Allerdings mußten wir die Briefe der Lagerleiterin zum Lesen vorlegen. Wenn eine mal erwischt wurde, daß sie beim Ausgang heimlich einen Brief in den Kasten geworfen hatte, bekamen alle 14 Tage Schreibverbot. Wir trafen auch mit anderen KLV-Lagerkindern zusammen, die z.B. aus Berlin kamen. Wir machten sogenannte "Bunte Abende" und auch gemeinsame Ausflüge. Im Ort gab es auch ein Lager von Aussiedlern, Buchenland-Deutschen. Hier haben wir Scharaden, die wir einstudiert hatten, vorgeführt; Lieder gesungen usw. Politischen Unterricht erhielten wir nicht. Allerdings mußten wir uns immer die Wehrmachtsberichte im Radio anhören.

Die Luftangriffe der Engländer häuften sich, und im Radio hörten wir dann auch von Angriffen auf Köln. Daß dann das große Heulen anfing, war ja verständlich, aber nicht für unsere Lagerleiterin. Sie hielt einmal nach so einer Radiomeldung die Briefe aus Köln einen Tag fest. Die älteren Mädchen, die Ostern entlassen wurden, konnten nach Hause fahren, was uns bekümmerte, weil wir nicht mitkonnten. Meine Eltern und die Eltern meiner Freundin hatten inzwischen bei den entsprechenden Stellen in Köln Eingaben gemacht, um uns nach Hause zu holen. Sie wurden immer wieder vertröstet, und es wurde ihnen mitgeteilt, daß wir in ein anderes Lager kämen. Zwei Väter hatten inzwischen ohne Erlaubnis ihre Töchter abgeholt. Wir anderen kamen so um den 25. April herum nach Neurode im Eulengebirge. Ein paar Tage waren wir wieder von unserem Heimweh abgelenkt. Am 2. Mai kam die Wirtin der Anna-Baude, in der wir untergebracht waren, in unseren Schlafsaal, morgens um 7 Uhr und holte mich ans Telefon. Es war mein Vater, der in Neurode auf mich wartete. Ich sollte noch Agnes, meine Freundin, und Liselotte mitbringen. Doch mußte alles schnell und heimlich erfolgen, da mein Vater auch keine Genehmigung hatte. Wir packten unsere Koffer - so schnell es nur ging - und rannten mit dem schweren Gepäck den Berg hinunter nach Neurode.

Am 4. Mai waren wir wieder glücklich in Brück. Für meinen Vater war es eine sehr beschwerliche Reise gewesen. Er hatte im 1. Weltkrieg ein Bein verloren und war von Köln nach Neurode über 24 Stunden unterwegs gewesen und kam mitten in der Nacht in Neurode an. Hier konnte er sich in einem kleinen Gasthof bis zum frühen Morgen ein wenig ausruhen. Dann ging es wieder 24 Stunden zurück nach Köln. Mein Vater hatte von dem Gastwirt zwei Butterbrote bekommen, die er dann an uns drei Kinder verteilte. Denn wir hatten ja nichts erhalten.

Schlimme Erinnerungen habe ich nicht an diese Kinderlandverschickung. Die anderen Kinder, die nicht von ihren Eltern geholt wurden, kamen später noch nach Thüringen und erst im Juli 1941 zurück nach Köln.“

 

Die Briefe stellte Anneliese Mayer damals zur Reproduktion zur Verfügung. Das geschah zeittypisch durch einfache schwarz-weiße Arbeitskopien. Leider waren die Briefe später nicht mehr im Original zugänglich, um sie zu scannen. Daher können hier neben der Transkription lediglich die – teilweise mit Markierungen versehenen - Arbeitskopien präsentiert werden. Sie werden im NS-Dokumentationszentrum im Bestand „KLV“ aufbewahrt.