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Jugend! Deutschland 1918-1945
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Jugendliche wuchsen nicht in „luftleeren“ Räumen auf, sondern in ihren jeweiligen Lebenswelten. Gerade zwischen 1918 und 1945 machte es oftmals einen erheblichen Unterschied, ob man auf dem Land oder in der Stadt aufwuchs, im katholischen oder im Arbeitermilieu, ob in einer bürgerlichen Klein- oder in einer bäuerlichen Großfamilie. Wie veränderten sich damals die Familienstrukturen, wie die schulische Erziehung? Außerdem bestimmten neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zunehmend das jugendliche Leben und Streben.

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Militarismus vor 1933

Es war keineswegs so, als hätten die Nationalsozialisten im Allgemeinen und SA, SS und Hitlerjugend im Speziellen den Militarismus allein in die Gesellschaft getragen und zu einem zentralen Erziehungsziel gemacht. Vielmehr war Deutschland aufgrund der Erfahrungen der Kaiserzeit nach 1918 weiterhin von einer militaristischen Kultur geprägt, in der militärisches Verhalten auch außerhalb der im engeren Sinne militaristischen Institutionen stilbildend wirkte. Das führte dazu, dass in den Jahren der Weimarer Republik ein zumindest latenter Militarismus allgegenwärtig war: im Schüler-Lehrer-Verhältnis, in den Familien, in Grußsitten auf der Straße oder in Amtsstuben, wobei er sowohl in die Alltagssprache als auch in die Lerninhalte hineinwirkte. Das führte letztlich dazu, dass die Erziehung zum Militarismus zu einem der prägenden Einflüsse gerade auf die jungen Generationen der Weimarer Jahre wurde.[1]

Der Erste Weltkrieg, den die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung als von außen erzwungen empfunden, zugleich aber auch emphatisch bejubelt hatte, endete mit einer für die meisten Menschen gänzlich unerwarteten Niederlage, deren Bedingungen sie als nationale Demütigung verbittert ablehnten. In der „Dolchstoßlegende“ verfestigte sich dieses Zerrbild zur Lebenslüge des alten Deutschland. „Im Felde unbesiegt“ sei das Heer durch die Revolution in der Heimat zur Kapitulation gezwungen worden. Wenn auch vornehmlich in den Kreisen der politischen Rechten propagiert, beeinflusste der Glaube, von den Siegern ungerecht behandelt zu werden, die Grundstimmung der Weimarer Jahre maßgeblich. Selbst Sozialisten und Pazifisten verwarfen den Versailler Vertrag zunächst entschieden als unerträglich und wälzte die Verantwortung für die Folgen der Niederlage auf andere ab: die „westlichen Demokratien“, den „imperialistischen Kapitalismus“, die „Marxisten“ oder - als Formel, die alle Ängste umschloss - die „jüdische Internationale“, die Deutschland verknechte. „Versailles“ und „Dolchstoß“ wurden zu gefährlichen Erinnerungsformeln für den Geburtsmakel der Republik.[2]

Bereits im Sommer 1919 hieß es beispielsweise in einem von Professoren, Schriftstellern und anderen bekannten Persönlichkeiten unterzeichneten „Aufruf an die deutsche Jugend“: „Wir müssen sorgen, dass ein Geschlecht heranwachse, welches bereit ist, sich zu opfern wie 1914“. Es müssten wieder, so fabulierte der Aufruf weiter, „Führer“ erstehen, „deren unbestechlicher Geist die gewundenen, allzu feilschbereiten Schliche krämerischer Verschlagenheit nicht kennt“ und denen die Jugend - „ungenötigt und entschlossen bis zur letzten Hingabe“ - zur Erfüllung ihres innersten Strebens folgen könne, weil sie den Weg zu einer „neuen unverwüstbaren Volksgemeinschaft“ überzeugend vorangingen.[3] Als dann 13 Jahre später die Weimarer Republik kurz vor ihrem Untergang stand, fasste ein zeitgenössischer Beobachter 1932 das gemeinsame Auftreten von Jugendlichen in der Zwischenkriegszeit in folgendem Bild prägnanten zusammen: „Marschierende, einheitlich gekleidete Jungentrupps in geschlossenen, disziplinierten Reihen. Sie halten Gleichschritt, die Fahne an ihrer Spitze, die einmal die rote Fahne des kommenden sozialistischen Staates ist, oder die Hakenkreuzfahne des kommenden Dritten Reichs, ein andermal das Kreuz katholischer oder evangelischer Jugend oder die schwarze Fahne des Widerstandes gegen den Versailler Gewaltfrieden. Das Stehen und Marschieren in Reih und Glied ist allen Ausdruck ihres stärksten Lebensgefühls, bedeutet allen elementares Erlebnis, wirkt auf alle wie ein Rausch.“[4]

In der Ideenwelt der Jugendorganisationen der Zwischenkriegszeit spielt das militärische Element also eine sehr große Rolle. Zum Leitbild der männlichen Jugend wurde der Frontsoldat; militärische Tugenden wie Tapferkeit und Härte, Kameradschaft und Einsatzbereitschaft dominierten in den Erziehungswerten. Dementsprechend kristallisierte sich der Männerbund als Ideal der Jugendgruppe heraus, während für emanzipatorische Tendenzen kaum Platz blieb.[5]

Hinzu trat eine zumeist unreflektierte Glorifizierung der Vergangenheit, die zwischen 1918 und 1933 ebenso verbreitet war, wie das Verlangen nach utopischen Zukunftsentwürfen, die allesamt Fluchtwege aus der düsteren Gegenwart darstellten. Im Zuge der hiermit verknüpften Diskussionen, durch Gründung von Vereinen und (Kampf-) Bünden, Publikationen und vieles mehr, wurde – insbesondere in jugendlichen Köpfen - ein latenter Militarismus etabliert, der Denken und Handeln über 1933 hinaus maßgeblich mitbestimmt haben dürfte. Hier können einzelne Aspekte dieses so wichtigen wie diffusen Themas lediglich angedeutet werden. Eine intensivere schrittweise Ausarbeitung kann erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Andererseits sei darauf hingewiesen, dass sich zahlreiche Hinweise auf „militaristische Elemente“ in den verschiedenen hier präsentierten Themenblöcken finden lassen. So wird man in dieser Hinsicht beispielsweise bei einzelnen Gruppen der Jugendbewegung – seien sie nun konfessioneller, politischer oder bündischer Ausrichtung -, aber auch bei speziellen Themen wie etwa dem „Singen“ fündig.

Fußnoten

[1] So Lehmann, Militär, S. 407. Sofern nicht anders angemerkt, dort auch das Folgende.

[2] Darstellung nach Langewiesche/Tenroth, Bildung, S. 2f.

[3] Zitiert nach Reulecke, Jugend, S. 94f.

[4] Zitiert nach Mitterauer, Sozialgeschichte, S. 226

[5] Vgl. Mitterauer, Sozialgeschichte, S. 230

zuletzt bearbeitet am: 18.04.2016